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Singende Kumpanei geht
einer alten Tradition nach

Beeindruckendes Weihnachtsspiel in der Waldorfschule

Gütersloh-Friedrichsdorf (joz). Im Rahmen einer dreifachen Negierung der Sonne, die mit der Winterzeit, die auch die dunkle Jahreszeit genannt wird, sowie mit dem Zeitpunkt inmitten der Nacht und dem Stall oder einer symbolischen Grotte in Verbindung steht, wurde jener an Weihnachten geboren, der später von sich sagte: »Ich bin das Licht der Welt«.

In diesem Sinne führte der die Regie für das Oberuferer Christgeburt-Spiel innehabende Regisseur Michael Niewind in die beeindruckende, von Lehrern, Schülern und Eltern bestrittene Aufführung des Weihnachtspiels am Mittwochabend in der Gütersloher Waldorfschule in Friedrichsdorf ein.
Sicher ist, dass die Tradition der Oberuferer Spiele mindestens aufs 16. Jahrhundert zurückgeht. Deutsche Kolonisten, die sich wohl aus dem Bodenseebereich im westungarischen Bergland in und um Oberufer niedergelassen hatten, pflegten alljährlich und über die Jahrhunderte insgesamt drei Weihnachtspiele namens Paradeis-, Christgeburt- und Dreikönig-Spiel. Ihrem die Seele berührenden Gehalt entsprechend wurden sie im bäuerlichen Milieu von jeweiligen »Lehrmeistern« immer weiter überliefert. Durch Karl Julius Schröer, der von diesen Perlen des deutschen Volksschauspiels - sie sind der Entstehung der modernen Bühne noch vorausgegangen - in den Fünfzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts beiwohnte und sie aufgrund seines tiefen Berührtseins 1862 in Wien herausgab, wurden sie auch an dessen Schüler Rudolf Steiner übergeben und ans Herz gelegt. Steiner richtete sie ebenfalls der alten im Dialekt der Heanzen-Mundart gesprochenen Spielart getreu auch schon zur Zeit des ersten Weltkrieges, da sie auch in Lazaretten gespielt wurden, szenisch neu ein. Mitglieder und Freunde der anthroposophischen Bewegung setzten die Tradition durch alljährliche Aufführungen an Schulen, Bühnen, Krankenhäusern sowie Altenheimen seit mittlerweile mehr als 80 Jahren fort.
Auch in Friedrichsdorf haben sich in diesem Jahr wieder elf Darsteller in den Rollen von Maria und Joseph, dem Engel Gabriel, den Hirten, dem Sternsinger, den Wirten und dem Meistersinger als Klavierbegleiter aus der Lehrer-, Schüler- und Elternschaft zusammengefunden. Als singende Kumpanei durchwanderten sie zu wiederholten Malen die mit Zuschauern voll besetzte Schulaula und spielten in eindrücklichen Szenen die Weihnachtsgeschichte auf der Bühne vor. Der alten Volkstümlichkeit entsprechend kamen gerade die auch schon von den in einfachen und ärmlichen Verhältnissen lebenden Oberuferer Bauern kultivierten und durch die Textur bewahrten, durchaus hohen inneren Werte wie Demut, Mitgefühl und freigiebige Hingabe in der ehrfürchtigen Anbetung und Beschenkung des Christkindes durch die Hirten zum Ausdruck.
Verstärkt wurde diese Haltung der Hirten namens Gallus, Stichl und Witok allerdings auch durch deren in vorangehenden Szenen schauspielerisch großartig gespielte derbe, mit freundschaftlichen Herbheiten angereicherte, spaßige Umgangsformen, da hierdurch der echten Frömmigkeit jegliche Spur von scheinheiliger Bigotterie genommen wurde. Standen einerseits die drei Wirte für die gesellschaftliche Verstocktheit und auch Ablehnung gegenüber zu verwirklichenden christlichen Werten, wirkte andererseits der Engel ohne sentimentale Scheinheiligkeit wie eine authentische Erscheinung zugunsten des durch die heilige Familie verkörperten Wahren, Schönen und Guten. Das Publikum spendete dankbaren Applaus.

Artikel vom 23.12.2006