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Hilfe nicht nur zur Weihnachtszeit

Martina Beneke aus Ahle unterstützt seit Jahren ein Patenkind in Guatemala

Von Rainer Grotjohann (Text)
und Sebastian Picht (Foto)
Bünde-Ahle (BZ). In der Vorweihnachtszeit haben Spendensammler Hochkonjunktur: Für caritative Zwecke öffnen auch die Sparsamsten in den Wochen vor dem Fest der Liebe die Portemonnaies besonders weit. Martina Beneke aus Ahle hingegen beschränkt ihr soziales Engagement bewusst nicht auf die heimelige Zeit von Kerzenlicht und Tannenduft. Die 24-Jährige ist seit drei Jahren Patin eines kleinen Jungen in einem Dorf in Guatemala.

Für ihn zwackte sie schon als Auszubildende monatlich 25 Euro von ihrem schmalen Budget ab. Und im vergangenen Jahr hat die Industriekauffrau eine gut vierstellige Summe aufgebracht, um in dem südamerikanischen Staat unentgeltlich über mehrere Monate soziale Arbeit zu leisten - und ihr Patenkind zu besuchen.
Für die spanische Sprache hatte Martina schon lange ein Faible, spätestens nach Familienurlauben auf der iberischen Halbinsel. Nach mehreren Sprachkursen kam sie vor gut drei Jahren auf die Idee, ihre Spanischkenntnisse mit einem sozialen Engagement in Lateinamerika zu verbinden. Hilfreich war das Internet. Über das Suchwort »Patenschaften« kam sie auf die Webseite von »Plan International«. Die Organisation, deren deutscher Sitz Hamburg ist, vermittelt Patenschaften zu Kindern in Asien, Afrika und Lateinamerika. Der Kontakt war schnell hergestellt, nach wenigen Wochen war die junge Frau Patin des damals dreijährigen Brandon, der mit seinen Eltern, der Großmutter und zwei älteren Schwestern in dem Bergdorf El Progresso, zwei Autostunden von Guatemala-Stadt entfernt, lebte
»Mein Kostenbeitrag geht nicht direkt an seine Familie, sondern hilft bei der Finanzierung von Hilfsprojekten der Organisation in El Progresso,« berichtet Martina Beneke. Plan International baut dort eine Schule auf und bemüht sich um die Verbesserung der Wasserversorgung.
Kontakt mit Brandon gab es zunächst nur brieflich, die heute acht- beziehungsweise elfjährigen Schwestern des Jungen schrieben (und schreiben) eifrig. Hinzu kommen in regelmäßigen Abständen so genannte »Fortschrittsberichte« der Patenschaftsorganisation, in dem die junge Frau aus Ahle über die aktuelle Lebenssituation des Kleinen informiert wird. Die wohl einschneidendste Änderung der vergangenen Jahre: Mutter und Vater haben das bettelarme Dorf verlassen, sie haben Jobs in den USA gefunden und sorgen so für den Lebensunterhalt der Familie.
Wie es Brandon geht und wie die Patenschaftsorganisation ihren Beitrag einsetzt, davon wollte sich Martina persönlich ein Bild machen. Sie sparte eisern und setzte ihren Plan im vergangenen Jahr in die Tat um. Über eine Sprachreisen-Organisation und mit Hilfe von Plan International organisierte sie einen Aufenthalt in der guatemaltekischen Großstadt Antigua. Im April 2005, ihre Ausbildung zur Industriekauffrau hatte sie gerade abgeschlossen, begann das »Abenteuer Lateinamerika«.
Nach gut 20 Stunden Flug holte sie der Fahrer der Sprachschule ab und brachte sie in ihr sehr bescheidenes Quartier. Sie lebte bei einer allein erziehenden Mutter mit drei Kindern, die ihren Lebensunterhalt mit der Vermietung von Wohnraum für Sprachschüler bestreitet. Ein Bett, ein Tisch, ein paar Kleiderhaken Ñ das sollte nun bis Ende Juni ihr Zuhause sein. Kein Problem für die junge Frau, zumal sie schnell Freundschaft mit ihrer in ärmlichsten Verhältnissen lebenden »Gastmutter« schloss.
Mehrere Stunden Sprachunterricht, dazu Mitarbeit in einer Schule: »Meine Spanischkenntnisse reichten schnell aus, um die Lehrerin in einer Grundschulklasse zu unterstützen«. Viel Freizeit blieb so nicht, aber Zerstreuungsmöglichkeiten boten sich in Antigua ohnehin kaum. Straßenkriminalität war in der Großstadt ein Riesenproblem. Vorsicht ist geboten, nach Einbruch der Dunkelheit wagten sich Einheimische und Sprachschüler nur in größeren Gruppen auf die Straßen. »Die Polizei zeigt keine Präsenz. Die Überlandbusse von Antigua in die umliegenden Ortschaften werden regelmäßig von Bewaffneten überfallen. Auch meine Gastmutter wurde ausgeraubt. Den Fahrern der vielen "inoffiziellen" Taxis kann man sich auch nicht anvertrauen«. Unter die Räuber ist Martina Beneke nicht gefallen. Für drei Tage landete sie dennoch im Krankenhaus: Penicillin-Schock nach dem Biss einer Giftspinne.
In der letzten Woche ihres Aufenthaltes fuhr sie mit Mitarbeitern von Plan International nach El Progresso, um zum ersten Mal ihr Patenkind zu sehen. »In der Regenzeit ist das Dorf praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Wir hatten Glück, mit einem Geländewagen kamen wir durch, über ziemlich abenteuerliche Pisten«. Im Dorf, einer weit verstreuten Siedlung in den Bergen, wurden die Besucher von einer großen Kinderschar begrüßt, darunter die beiden Schwestern von Brandon. Der Kleine zeigte sich erst schüchtern, taute dann aber auf dem Schoß seiner Patin auf. »Das Leben spielt sich mehr oder weniger auf der Straße ab, die Menschen leben meist von der Landwirtschaft. Die wenigsten Kinder haben irgendeine Schulbildung, gerade bei Mädchen ist Analphabetismus ein riesiges Problem«, blickt Martina Beneke zurück. Sie informierte sich vor Ort über die von Plan International geleistete Aufbauarbeit und ist sich sicher: »Bei dieser Organisation sind die Paten-Beiträge sehr gut aufgehoben«.
Zurück in Deutschland holte sie der Alltag schnell wieder ein. Nach einem vierwöchigen Praktikum in einer Kindertagesstätte musste sie ihre Studiumspläne für einen Beruf im sozialen Bereich erst einmal auf Eis legen. Martina Beneke hat eine Anstellung in einem Unternehmen in Enger gefunden und fühlt sich dort »pudelwohl«. Aber das Fernweh bleibt, trotz aller Widrigkeiten: »Ich würde sofort wieder nach Guatemala fliegen«.

Artikel vom 23.12.2006