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Mit Testament Streitpotenzial vermeiden

Auf welche Klippen Bürger beim Vererben achten müssen: Fachanwalt für Erbrecht gibt Tipps

Halle (WB). Thomas Ernst (42), der in der Haller Sozietät Lang, Jöstingmeier und Ernst bereits als Fachanwalt für Familienrecht fungiert, ist im Altkreis Halle nunmehr auch der erste Fachanwalt für Erbrecht. Im Gespräch mit WESTFALEN-BLATT-Redakteur Stefan Küppers erläutert Thomas Ernst unter anderem, warum sich der Normalbürger mehr mit Fragen wie Testament und Erbfolge befassen sollte.

Erbrecht scheint ein kompliziertes Rechtsgebiet zu sein. Wo liegen die Klippen?
Thomas Ernst: Bei der täglichen Rechtsanwendung erfordern komplizierter gewordene Regelungen und ausgeuferte Gesetzwerke immer mehr Spezialwissen. Das hängt auch mit den veränderten Lebensumständen in der modernen Gesellschaft zusammen. Ein Beispiel: Als unser Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)geschaffen wurde, konnte mit dem Begriff »Patchwork-Familie« noch niemand etwas anfangen. Heute sind neu zusammengesetzte Familien eine verbreitete Lebensform. Doch im Erbfall droht solchen Familien großes Durcheinander, wenn die gesetzliche Erbfolge greift. Gerade die gewünschte Erbfolge in »Patchwork-Familien« erfordert ein hohes Maß an Gestaltung, damit Kinder beim Tod von Vater oder Mutter auch das bekommen, was sie in der herkömmlichen Familienkonstellation bekämen. Hier hilft ein sorgsam ausgearbeitetes Testament.

Wieviele Menschen haben denn überhaupt ein Testament aufgesetzt? Und warum soll das so wichtig sein?
Thomas Ernst: Ich denke, dass etwa zwei Drittel aller Bürger überhaupt kein Testament aufgesetzt haben, wohl auch, weil viele Menschen die Beschäftigung mit dem eigenen Tod verdrängen. Tritt die gesetzliche Erbfolge ein, werden beispielsweise eine Witwe und ihre Kinder automatisch zu einer Erbengemeinschaft. Bei gegenläufigen Interessen kann das viel Streitpotenzial in sich bergen. Mit einem klaren und gut gemachten Testament aber kann ein Erblasser eine eventuell spätere Zerrüttung der Familienmitglieder oder unpraktikable Erbfolgen verhindern. Mit einem notariell beurkundeten Testament vermeidet man in der Regel auch das sonst notwendige Erbscheinverfahren bei Gericht.

Im Erbrecht lauern also einige Fallen, die Bürger stärker beachten sollten?
Thomas Ernst: Richtig, das Erbrecht ist so verzahnt mit anderen Rechtsbereichen, an die kaum jemand sofort denkt. So ist es zum Beispiel auch mit dem Sozialhilferecht verzahnt. Hat zum Beispiel jemand in Folge vorweggenommener Erbfolge sein Haus an seine Kinder verschenkt und er verarmt dann später, so gibt es laut BGB einen Rückforderungsanspruch binnen zehn Jahren. Dieser Anspruch kann auch auf das Sozialamt übergehen. Das Sozialamt klagt den Rückforderungsanspruch ein und setzt ihn bei den Kindern dann auch durch. Für ein behindertes Kind, das nach dem Tod der Eltern eventuell sozialhilfebedürftig wird, könnte man durch ein so genanntes »Behinderten-Testament« sicherstellen, dass der Nachlass nicht dem Sozialhilferegress anheim fällt. Wichtig sind auch die testamentarischen Nachfolgeregelungen in Unternehmen durch ein Testament, damit ein nahtloser Übergang nach Ausscheiden des »Altunternehmers« gefunden wird. Ein Testament sollte man übrigens immer überprüfen, ob es noch zeitgemäß ist, ob sich über die Jahre nicht wesentliche Bedingungen verändert haben.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Testament und einem Vermächtnis?
Thomas Ernst: Wenn Willibad seinen Onkel Willi beerbt, tritt er als Erbe rechtlich praktisch an dessen Stelle. Das heißt, er steht auch für dessen Forderungen und Schulden gerade. Willibad muss sich bei einem überschuldeten Nachlass überlegen, ob er innerhalb bestimmter Fristen die Erbenstellung vielleicht ausschlagen sollte. Bei einem Vermächtnis hingegen bekommt Willibald beispielsweise einzelne Nachlassgegenstände und muss gerade nicht in alle Rechte und Pflichten von Erblasser Willi eintreten. Das Vermächtnis ist darum ein sehr reizvolles Gestaltungsmittel, um das »Alles-oder-Nichts-Prinzip« zu brechen.


Was rät der Fachanwalt für Erbrecht im Zusammenhang mit der zu erwartenden Änderung des Erbschaftssteuerrechts durch den Gesetzgeber?
Thomas Ernst: In der Tat sind wohl noch im nächsten Jahr gesetzliche Änderungen zu erwarten. Das Bundesverfassungsgericht wird darüber hinaus wohl auch noch über eine Verfassungsbeschwerde entscheiden, die sich mit der derzeit noch gültigen Bewertungsprivilegierung von Immobilienvermögen gegenüber Barvermögen befasst. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe könnte diese Privilegierung schon bald »kippen«. Wer also noch zu Lebzeiten im Wege der vorweggenommenen Erbfolge Immobilienvermögen übertragen möchte, sollte dies möglichst bald noch nach dem alten Recht tun.

Artikel vom 16.12.2006