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Vorsicht am Bahnsteig

Im ältesten Modelleisenbahnladen der Stadt dampft das Geschäft

Von Stephan Rechlin
und Wolfgang Wotke (Fotos)
Gütersloh (WB). Im ältesten Modelleisenbahnladen der Stadt geht es zu wie auf einem Bahnsteig zur Hauptverkehrszeit. Leute kommen, kaufen, gehen. Doch unter den Passagieren sind keine Kinder.

»Wir haben ein Generationsproblem, ganz klar. Statt einer Modelleisenbahn liegt heutzutage eher eine Play Station unterm Weihnachtsbaum,« sagt Jochen Weithöner (57), der den Fachhandel an der Kampstraße seit 25 Jahren betreibt, davon 18 Jahre gemeinsam mit Stefan Fortenbacher. Trotz der elektronischen Konkurrenz sind Jahr für Jahr Neukunden dabei, die mit einem Starterset von Roco, Märklin oder Fleischmann in ein kleines Universum eindringen.
Dampf, das Rattern auf den Gleisen, Tuten, Lichteffekte - alles funktioniert heute digital. »Wir rüsten alten Loks auf Digitalbetrieb um. Doch Anlagen wie vor 25 Jahren bieten wir nicht mehr an,« erläutert Weithöner. Das digitale Modelleisenbahnzeitalter begann vor 20 Jahren mit Fünf-D-Mark großen Chips. Heute sind sie nicht mal mehr so groß wie ein Cent, doch zehnmal so leistungsfähig. So gut wie jede Anlage sei heute mit dem Computer zu verknüpfen. Auf dem wiederum könnten Fahrpläne und Landschaften programmiert werden, die anschließend von der Modellbahn auszuführen seien.
Ja, auch Landschaften. Die Frauen auf den Bahnsteigen können ihren Kindern oder Lebensgefährten im Zug neuerdings zuwinken. Weizen- und Tulpenfelder dienen als Panoramen. Zwei Bayern sitzen an einem Biertisch und heben die Humpen. Sogar schlüpfrige Szenen sind in der Landschaft zu entdecken: »Als sie vor zwei Jahren aufkamen, waren sie der absolute Renner. Inzwischen hat es sich etwas abgekühlt,« sagt Weithöner schmunzelnd.
Gut 1000 Stammkunden aus Ostwestfalen-Lippe führt Weithöner in seiner Kartei. Kunden, die ihre Anlagen Jahr für Jahr um einige Attraktionen bereichern. Vielleicht um den Nachbau des alten Gütersloher Hauptbahnhofes. Oder um die VT 08, jenem Dieseltriebwagen, in dem die Fußball-Nationalmannschaft von 1954 aus Bern zurückkehrte. Oder um den »Haller Willem«, der hinter Glas auf seinen Einsatz wartet. Vielleicht aber auch um Papst Benedikt XVI., der auf Wunsch jeder Dampflok seinen Segen mit auf den Weg gibt.

Artikel vom 14.12.2006