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»Es ist der
platte Sozialismus
des Fidel Castro.
Aber Venezuela
ist nicht Kuba.«

Leitartikel
Abhängig vom Öl

Gefahr und
Macht des
Hugo Chavez


Von Jürgen Liminski
2006 war ein Superwahljahr für Lateinamerika. In fast allen Ländern wurde gewählt, und in den meisten hat die Linke gewonnen: Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Chile, Peru, Brasilien und jetzt wieder Venezuela.
Kippt der Halbkontinent? Es ist zu spät, um Alarm zu schreien aber auch zu früh, um in Panik zu fallen. Manche Länder bleiben wirtschaftlich einer gemäßigt-linken Linie treu, wie etwa Chile, Peru und Brasilien und die anderen haben international wenig Gewicht - bis auf Venezuela eben. Vom Regime des neu gewählten Hugo Chavez geht Gefahr aus, weil er unermesslich viel Geld hat.
Der klare Sieg des Demagogen hat hausgemachte und internationale Gründe. Er basiert auf dem Ölreichtum, denn ohne die Milliarden Petro-Dollars, die dem weltweit fünftgrößten Ölexporteur permanent zufließen, könnte er seine Wähler nicht kaufen. Und um einen Kauf handelt es sich.
Chavez hat Sozialprogramme aufgelegt, die seine Partei in der Art eines Basis-Blockwartsystems umsetzt. Man kauft zum Beispiel Leuten eine Arbeitsuniform, holt sie morgens ab, bringt sie zu einer Straßenbaustelle und von dort abends wieder zurück.
Viel wird nicht geschafft auf so einer Baustelle, wirtschaftlich rentabel ist das also nicht, aber die Leute danken es Chavez, er verschafft ihnen eine Existenzgrundlage.
Oder die Kinder gehen tagsüber in Uniform zu Schulungen der Partei, ihre Lehrer verbringen gleich längere Schulungen auf Kuba. Oder die kostenlosen, von kubanischen Ärzten und Krankenschwestern geführten Ambulanzen. All das wäre ohne sehr viel Geld nicht machbar.
Chavez hat das einfache Volk von sich und den Petrodollars abhängig gemacht. Das Öl ist sein Opium für das Volk. Wenn der Ölpreis fällt oder die Weltkonjunktur nachlässt, läuft Chavez Gefahr, seine Volksbasis zu verlieren.
Bis es so weit ist, will er eine Einheitspartei aufbauen - nach kubanischem Muster. Nach seinem Wahlsieg hat er dafür sechs Jahre Zeit. Er wird jetzt auch stärker die Kirche zu beugen versuchen, ähnlich wie Castro.
Und er wird die Zeit nutzen, um auch außenpolitisch seine »bolivarische Revolution«, seinen Sozialismus des 21. Jahrhunderts, in der ganzen Region zu verwirklichen. Es ist der platte Sozialismus des Fidel Castro.
Aber Venezuela ist nicht Kuba. Die Menschen können fliehen, schon jetzt verlassen viele junge Akademiker das Land.
Und wenn er sein Öl, das sehr schwer und schwefelhaltig ist, nicht mehr in den USA verkaufen kann, dann hat er ein Problem. Nur die USA haben die entsprechenden Raffinierien.
Sollte er seine Kooperation mit dem Iran weitertreiben und auch Länder wie Brasilien oder Chile für einen strikt anti-nordamerikanischen Kurs gewinnen, dann wird es spannend. Washington hat Alternativen und wartet ab.
Nach dem Tod Fidel Castros wird man sehen, wohin der Halbkontinent steuert. Bis dahin und solange die Demokratien nicht abgeschafft werden, lässt man Chavez weiter bolivarisch poltern.

Artikel vom 08.12.2006