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Pastinaken auf westfälisch
Das Saisongemüse der Winterzeit wird von den Kochprofis wiederentdecktAlle kennen Pizza und Pasta - aber was, bitteschön, sind Pastinaken? Dieses mittlerweile weithin unbekannte Gemüse soll mit Hilfe des Vereins »Westfälisch genießen« nun wieder verstärkt in den Blickpunkt rücken.
Eine tolle Idee, denn regionale Küche muss Alleinstellungsmerkmale aufweisen, wenn sie Touristen anlocken soll. Und was Karl-Heinz Mersmann (»Klosterpforte« in Marienfeld), Martin Jacoby (»Alte Schmiede« in Steinhagen) und Sören Westfahlen (»Wilhalm« in Harsewinkel) in den kommenden Wochen auftischen, hat wahrlich das Zeug dazu, auch weitgereiste Gourmets zu begeistern.
Der Pastinak, auch Moorwurzel genannt, ist ein typisches Saisongemüse der Winterzeit und kommt wie eine etwas zu groß geratene Petersilienwurzel daher. Man findet ihn verbreitet in Wiesen, vor allem in Wegnähe, an Böschungen, in lückigen Unkrautfluren, im Eisenbahngelände, in Steinbrüchen oder im Getreide. Er liebt basen- und oft kalkreichen und stickstoffhaltigen Boden.
Pastinaken schmecken zartsüß bis nussig und zählten bis Mitte des 18. Jahrhunderts noch zu den Grundnahrungsmitteln der Westfalen. Seinerzeit standen sie gleichbererchtigt mit Kartoffeln und Karotten auf dem Speiseplan. Aus ihrem Saft lässt sich ein dickflüssiger Sirup kochen, der als Brotaufstrich und Süßmittel diente.
Da Haarwild und Schafe sie gleichermaßen mögen, bekamen sie im Volksmund aber den Beinamen Hammel- oder Hirschmöhre - und gerieten damit ins Abseits. Den Bauern war außerdem die siebenmonatige Wartezeit von der Saat bis zur Ernte einfach zu lästig.
Karl-Heinz Mersmann weiß nach eigenem Bekunden nicht, wo er heute spontan frische Pastinaken finden könnte, sein Kollege Westfahlen rät immerhin dazu, es mal auf dem Wochenmarkt zu versuchen. Da schaut der ambitionierte Hobbykoch dann freilich etwas neidisch auf die Profis, die natürlich im Fachgroßhandel kompetente Partner haben, die jeden noch so ausgefallenen Wunsch erfüllen können.
Dies umso mehr, als dass die Kostproben des rührigen Küchen-Trios Appetit auf mehr machen. Da wäre zum Beispiel die Cremesuppe von Pastinaken, verfeinert mit Porree und Sellerie. Mit Croutons aus geröstetem Pumpernickel schmeckt sie besonders kräftig. Diese Kombination kommt auch beim Pastinaken-Mousse auf Pumpernickel-Talern zum Tragen. Letztere lassen sich mit ein paar Tropfen Himbeeressig veredeln.
Freunde der Crossover-Küche können sich an der westfälisch-schweizerischen Variante des Pastinaken-Röstis versuchen -Êeine spannende Alternative zum weltweit gängigen Italo-Asien-Mix. Und auch die Rohköstler kommen nicht zu kurz: Gestiftelt und mit einem Dip gereicht -Êoder geraspelt mit anderen Gemüsen in einem Salat, schmecken die Pastinaken durchaus recht würzig. Die Blätter können übrigens ähnlich wie Petersilie als Würzkraut verwendet werden. Der weißgelbe, rettichförmige Pastinak schmeckt etwas würziger und schärfer als die kleinere Wurzel, diese ist delikater und schmeckt sogar roh. Größere können dagegen holzig sein. Am besten schmecken Pastinaken nach dem ersten Frost.
Die britischen Soldaten in Ostwestfalen kennen den Pastinak besser. Sie schwärmen von »Mashed parsnips«, das ebenso wie Kartoffelpüree zubereitet wird, jedoch wesentlich aromatischer ist. Es begleitet auf der Insel traditionell gebratenes oder gegrilltes Fleisch.
Thomas Albertsen

Artikel vom 09.12.2006