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Erschütternd:
So klingt die
innere Hölle

100 Jahre Dmitri Schostakowitsch

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Nicht nur Mozart feiert in diesem Jahr einen runden Geburtstag, sondern auch Dmitri Schostakowitsch. Der bedeutendste Komponist der Sowjetunion wurde am 25. September vor 100 Jahren in St. Petersburg geboren.

Nach einem städtischen Kammerkonzert mit den nur sehr selten aufgeführten Liedern durch den Muttersprachler Alexander Vassiliev (aktuell »durchlebt« der Bariton die schicksalhaften Abgründe des Ödipus in George Enescus Oper am Stadttheater) war es das Kammerorchester des Bayerischen Rundfunks, welches in einem Gedenkkonzert eine Annäherung an den zeitlebens im Bannstrahl der kommunistischen Kulturideologie stehenden Komponisten vornahm. Ist dieses aus Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks bestehende Streichereliteorchester allein in der Lage, die tragische Erregung und Zwiesprache in eine anrührende Klangrede zu kleiden, so war es hier die Kombination von Musik und Lesung, die in ihrer emotionalen und rationalen Verbindung dem Rezipienten ein Eintauchen in die seelische Befindlichkeit eines Komponisten erlaubte, der über Jahre der Willkür eines sadistischen Tyrannen ausgeliefert war.
Schostakowitsch hat die Angst vor dem intellektuell schlichten wie politisch mörderischen Stalin in seinen Lebensaufzeichnungen festgehalten. Schauspieler Thomas Groß lieh nicht nur dem Komponisten seine Stimme, er besaß auch die Gabe, die innere Aufruhr mit einer gewissen Nonchalance und Leichtigkeit rüberzubringen. Sein »Kontrahent« Günther Möllmann zitierte aus der »Prawda« und ließ somit an vernichtender Kritik teilhaben.
Im Wechsel mit Präludien und der Kammersinfonie op. 110a ergab dies ein Porträt von erschütternder Wirkung. Sechs Präludien aus op. 34 funkelten dank intensiv-sensibler Auslotung mal wunderbar zwielichtig und traumschön, mal in aberwitziger Walzerseligkeit und konterkarierter Polka-Lust. Schwereloses Adagio-Flirren und ein als Hexenritt serviertes Allegro molto lieferten zudem klangvolle Chiffren.
Die emotionale Tiefe, mit der die Bayern das von Rudolf Barschai zur Kammersinfonie instrumentierte achte Streichquartett servierten, war dann von bedrückender Intensität. Zwischen tiefer Trauer und Hoffnungslosigkeit auf der einen und peitschender Brutalität auf der anderen Seite: So muss die innere Hölle klingen, in der sich Schostakowitsch befand. Leider nahmen nur wenige Musikliebhaber am meisterhaft gewirkten Konzert in der Oetkerhalle teil. Die Kammerkonzertreihe Müller will einfach nicht richtig zünden.

Artikel vom 04.12.2006