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Wie Kulissenstücke auf
der leeren Weltbühne

Meisterwerke von Franz Radziwill in Paderborn

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Zu den großen deutschen Malern des vergangenen Jahrhunderts gehört Franz Radziwill (1895-1983). Die Städtische Galerie Paderborn in der Neuhäuser Reithalle zeigt jetzt seine »drohend vertrauten Welten«.

Seine »Landschaft mit Fluss« vermittelt auf den ersten Blick das Bild eines friedlichen Idylls. Zwei Angler warten in der Abendsonne darauf, dass ein Fisch anbeißt. Ihr Boot liegt ruhig auf dem unbewegten Wasser. Ein paar Lagerhäuser lugen über den Deich, im Hintergrund dreht sich eine Windmühle. Und doch strahlt die in ein geheimnisvolles Licht getauchte Szenerie etwas Unheimliches aus.
Am Himmel brauen sich kompakte, von Schwefelgelb bis Schwarzbraun changierende Wolkenpakete zusammen, die sich in Kürze vor die glutrote Sonnenscheibe schieben werden. Ein Flugzeug zieht schräg über den Himmel, man meint sein Brummen zu vernehmen. Und auch dem eigentümlich sterilen Flusswehr mit den geschlossenen Fluttoren glaubt man nicht recht trauen zu dürfen. Irgendwie liegt Unheil in der Luft.
Franz Radziwill malte diese Flusslandschaft im Jahr 1934. Eine Vorahnung der aufziehenden Katastrophe in Deutschland dürfte er freilich kaum gehabt haben. Anders als Malerkollegen seiner Generation wie Emil Nolde oder Lionel Feininger spürt der aus Norddeutschland stammende Künstler zunächst kein Unbehagen an den neuen Machthabern. Im Gegenteil: Gleich nach der Machtergreifung 1933 tritt Radziwill in die NSDAP ein und wird zum Professor an die Düsseldorfer Kunstakademie berufen - auf den Lehrstuhl von Paul Klee. Doch das »Missverständnis« nationalsozialistischer Gesinnung klärt sich schnell auf: Radziwill wird schon zwei Jahre später wegen »pädagogischer Unfähigkeit« entlassen. 51 seiner Werke werden 1938 als »entartet« beschlagnahmt, weitere Ausstellungen abgesagt.
Die Paderborner Ausstellung versucht nach Angaben der Kuratorin Andrea Wandschneider, Radziwills Gemälde »aus der bislang üblichen Zuodnung zur Neuen Sachlichkeit beziehungsweise zum Magischen Realismus herauszulösen.« Die Leiterin der Städtischen Galerie in der Reithalle Schloß Neuhaus will vielmehr deutlich machen, dass es sich um ein »Werk von extremer Eigenwilligkeit« handelt.
Radziwill sei nicht nur in Deutschland, sondern wahrscheinlich sogar in ganz Europa der einzige Künstler, der dem »Empfindungsphänomen Heimat« zum Ausdruck verhelfe. »Das hat nichts mit Folklore, provinzieller Enge, Gefühlsseligkeit, Verbundenheit mit der Scholle zu tun«, erläutert Wandschneider. Seine Landschaften und Stillleben seien von menschlicher Wärme und Sympathie durchdrungen. Der Aspekt der »Beheimatung« werde jedoch überlagert von einer »Wirkungsebene der Verfremdung und Bedrohung«. Vertrautes werde auf einmal in Frage gestellt. Wandschneider: »Plötzlich wirken die Lokalitäten und Gegenstandsensembles wie Kulissenstücke auf der leeren Weltbühne, wie erträumte Visionen.«
Die Paderborner Ausstellung konzentriert sich auf die Meisterwerke Radziwills aus der fruchtbarsten Schaffensperiode zwischen 1923 bis etwa 1950. Eröffnet wird die Schau, die bis zum 25. März 2007 täglich außer montags - bei freiem Eintritt! - zu sehen ist, morgen um 19 Uhr. Weitere Stationen sind das Rheinische Landesmuseum Bonn (April bis Juni) und das Kunstmuseum Bayreuth (Juli bis Oktober). Zur Ausstellung erscheint ein 200-seitiger Farbkatalog (22 Euro).

Artikel vom 30.11.2006