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Meisterin mit Nadel und Faden

Gardinen und Kleider: Helga Molz kleidet seit 50 Jahren Hörsterinnen ein

Von Klaus-Peter Schillig
Halle-Hörste (WB). Vor genau 50 Jahren hat Helga Molz ihre Prüfung als Schneidermeisterin bestanden. Sie ist eine Institution im Haller Ortsteil Hörste, unterhält hier eins der selten gewordenen Textilfachgeschäfte mit Vollsortiment - und bekommt Anfang Dezember den goldenen Meisterbrief.

In den ersten Jahren nach dem Krieg waren sie im heimischen Raum die gefragtesten Handwerker. Die Schneiderinnen und Schneider sorgten dafür, dass die Menschen wieder etwas Vernünftiges anzuziehen hatten für die besseren Gelegenheiten. Denn die am Boden liegende Industrie konnte den Bedarf trotz Wirtschaftswunders bei weitem nicht decken. Als Helga Molz aus der Schule kam, war eine Lehrstelle allerdings weit und breit nicht in Sicht. Erst mit 17, nach dem obligatorischen Landjahr und einem Jahr Frauenfachschule in Bielefeld, kam sie bei Anna Schweppe am Maschweg in die Lehre.
Ein echtes Talent, wie schon Jahre zuvor die Schneiderin der Familie Molz bemerkt hatte und was sich auch in der Ausbildung bestätigte. Die junge Helga schaffte die Gesellenprüfung 1951 als eine der Besten mit Auszeichnung und absolvierte 1956 auch ihre Meisterprüfung. Dazwischen lag die Hochzeit mit Ehemann Joachim und die Geburt des ersten von zwei Kindern. Für ihren Erstgeborenen Diethard musste die Hörsterin die Meisterschule für ein Jahr unterbrechen.
Zu tun gab es damals immer reichlich, vor allem die Tage und Wochen vor der eigenen Hochzeit waren »richtig stressig«, erinnert sich die 75-Jährige. Immerhin war sie Schneiderin - und musste für die halbe weibliche Verwandtschaft die Abendgarderobe nähen. Wenigstens das eigene Brautkleid war in anderen Händen: Das hat ihr eine Freundin und Kollegin geschneidert.
Die Hörsterin beließ es aber nicht bei der Arbeit an der Nähmaschine, einer robusten Pfaff 230, die heute noch für kleine Ausbesserungs- und Änderungsarbeiten eingesetzt wird. 1965 eröffnete sie ein kleines Einzelhandelsgeschäft an der neuen Dorfstraße, nähte fortan außerdem Gardinen und Dekostoffe. Ihr Mann, im Hauptberuf Betonbauer, sprach in den Neubaugebieten rund um Halle mögliche Auftraggeber an, gemeinsam mit seiner Frau war er dann oft bis tief in die Nacht bei den Kunden, um Leisten anzuschrauben und Gardinen aufzuhängen.
1979 dann trat das Schneiderhandwerk in den Hintergrund, Helga Molz eröffnete im Neubau gleich nebenan das große Textilfachgeschäft. Im selben Jahr bestand der letzte der bis dahin fünf Schneiderlehrlinge seine Prüfung. »Wir sind jetzt zu alt, um dauernd auf der Leiter zu stehen«, begründet sie, warum sie das Geschäft mit Gardinen inzwischen aufgegeben hat. Aber Bettbezüge, Hemden, Pullover, Hosen und Röcke, Strümpfe, Nähgarn, Blusen und Wolle wird man bei ihr noch weiterhin kaufen können. Solange es Spaß macht und solange der Laden die Kosten deckt.

Artikel vom 28.11.2006