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Neues Gesicht
und neuer Mut

Sprechen fällt Französin schwer

Von Hanns-Jochen Kaffsack
Paris (dpa). Sie sitzt mit ihrer jüngsten Tochter und ein paar Freunden in einer Cafeteria, bestellt Zitroneneis mit Wodka und will auch auf eine Zigarette nach dem Essen nicht verzichten. Es erkennt sie offensichtlich niemand hier. Und die 39-jährige Frau strahlt, sie strahlt über das ganze Gesicht.
Isabelle Dinoire will Anonymität. Foto: dpa

Denn vor knapp einem Jahr, am 27. November, verhalf ein Ärzteteam um die Professoren Jean-Michel Dubernard und Bernard Devauchelle der Französin Isabelle Dinoire in einer weltweit Aufsehen erregenden Operation wieder zu einem Antlitz. Sie übertrugen ihr das untere Teil des Gesichts einer hirntoten Organspenderin - ein Dreieck aus Nase, Mund und Kinn. Das Gesicht der Isabelle Dinoire war von ihrem Hund zerfetzt worden. Ihre Zähne lagen danach offen - ohne Lippen.
»Es geht ihr gut. Sie wird Anfang des kommenden Jahres in der Nähe von Valenciennes in Nordfrankreich ihre Arbeit als Sekretärin wieder aufnehmen«, berichtete der Chirurg Devauchelle, der Dinoire operiert hatte. »Unsere Patientin ist umgezogen, sie streicht selbst ihre neue Wohnung«, fügte er auf einem Kongress an. Das »Gesichtsdreieck«, das nicht der Patientin gehörte, hat sich also gut »eingefügt«.
Den Anflug eines Lächelns hatte Isabelle Dinoire bereits bei ihrem Presseauftritt zweieinhalb Monate nach der aufwendigen Operation in Amiens gezeigt. Und vor allem auch den starken Willen, »ein neues Leben aufzunehmen«. Der Damm für Gesichtstransplantationen scheint nach dem erfolgreichen Eingriff gebrochen. Im April erhielt ein 30-jähriger Chinese in einem Hospital von Xian eine neue Wange, eine Oberlippe, eine Nase und eine Augenbraue. Ein Bär hatte den Bauern Li Guoxing angegriffen und schwer entstellt. Zwei Drittel des Gesichts wurden »erneuert«. Britische Ärzte wollen »in einigen Monaten« die erste vollständige Transplantation eines Gesichts vornehmen.
»Ich will nicht mehr ins Licht der TV-Scheinwerfer, ich suche Anonymität und möchte in Ruhe gelassen werden«, sagte Dinoire vor kurzem beim ersten »Ausgehversuch« in ihrer Heimatregion der Zeitung »Le Parisien«. Vor allem kann sich Isabelle Dinoire problemlos verständigen, auch wenn so mancher Konsonant ihr noch zu schaffen macht und sie leichte »Sch«-Laute von sich gibt.

Artikel vom 25.11.2006