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Fortsetzung von der gegenüber liegenden Seite

Fühlst du dich als Bauernopfer?Ludewig: So sehe ich mich nicht, denn ich bin selbst dafür verantwortlich, was passiert ist. Ich habe mich vor neun Jahren nach Produkten erkundigt, von denen einige auf der Dopingliste standen. Jeder Reporter will natürlich seine Story. Allerdings habe ich immer gedacht, dass eine seriöse Zeitung aus dem Süden dieser Republik einen absoluten Faktenbericht schreibt. Nachdem da so viel Zynismus und Sarkasmus an den Tag gelegt wurde, sehe ich das anders, auch wenn der Autor nichts behauptet hat, was nicht stimmte - abgesehen von der sinngemäßen Prognose »So, das war's jetzt wohl für Ludewig im Radsport«. Was mich an der Berichterstattung geärgert hat, ist in erster Linie, dass man in der Verhältnismäßigkeit übertrieben hat. Ich hoffe, dass ich - unter einem vernünftigen Blickwinkel betrachtet - jetzt meine Chance bekomme und nicht noch drei Jahre darauf herumgeritten wird.

Wie sieht dein aktuelles Trainingspensum aus, um im Frühjahr 2007 beim Renn-Comeback eine gute Rolle spielen zu können?Ludewig: Morgens beginne ich mit einer halben Stunde Laufen, danach ein paar Kräftigungsübungen für Bauch und Rücken. Um 10 Uhr sitze ich dann auf dem Fahrrad, trainiere meistens bis 14 Uhr. Am Nachmittag stehen dann entweder Massage, Termine bei meinem Heilpraktiker oder andere Aufgaben rund um den Radsport an. Seit fünf Wochen bin ich wieder richtig im Training, habe es von bitterbösen 83 Kilo - da sagen dann alle: »Junge, du siehst aber gut aus« - auf 77,5 Kilo geschafft. Tour-de-France-Anreisegewicht war für mich immer 73,5 Kilo. Bis Ende Januar habe ich noch genug Zeit, in aller Ruhe auf das ideale Wettkampfgewicht zu kommen.

Was kannst du zu deinem voraussichtlichen Rennprogramm sagen?Ludewig: Mein erster Renneinsatz ist ab dem 2. Februar 2007 auf Malaysia bei der schweren Tour der Langkawi über zehn Etappen geplant. Danach folgt dann noch ein Trainingslager in Südafrika bis zum 7. März, ehe ich dort beim Giro del Capo schon gut fahren will, weil mir dieses Rennen total liegt. Der Saisonbeginn ist wichtig, weil gerade ich einen guten Eindruck machen muss, nachdem ich aus so einer Misere komme. Wir haben durch die Verpflichtung von Steffen Wesemann für unseren Kader die meisten Frühjahrsklassiker im Programm und auch eine Handschlag-Zusage für die Tour de Suisse.
Meine Highlights sollen Deutsche Meisterschaft, Deutschland-Tour, Henninger Turm und das ProTour-Rennen in Hamburg sein. Ich habe mir 84 Renntage 'rausgesucht, in denen ich richtig gut Fahrrad fahren will. Und ich merke jetzt schon: Es macht einfach Spaß, dass bei diesem Team meine Erfahrung aus sieben Jahren in der höchsten Profi-Kategorie gefragt ist. Ich werde praktisch vom Indianer zum Ersatzhäuptling.

Der Unterschied von T-Mobile zu Wiesenhof ist alleine von der technischen und personellen Ausstattung her schon krass. Was wird sich für dich als Rennfahrer ändern?Ludewig: Was die Wettkämpfe und die Besetzung angeht, kann man das vielleicht am ehesten vergleichen mit dem Unterschied von Champions League zu UEFA-Cup im Fußball. Wir werden für die Rennen, die wir bestreiten können, ein sehr gutes Fahrerprofil an den Start bringen und auch wirklich konkurrenzfähig sein. Über Leute wie Wesemann und Pollack werden wir zu einigen Rennen eingeladen, für die Wiesenhof vorher nicht in Betracht gekommen wäre.
Der größte Unterschied ist der finanzielle Background: T-Mobile hat das Zehn-, vielleicht sogar Zwölffache an Etat. Aber: Ich fühle mich hier gut aufgehoben. Das erste Teamtreffen über vier Tage war so von Herzlichkeit, von Entthusiasmus und geradezu karitativem Einsatz geprägt. Der Jens Heppner ist wie ein »Papa« und rödelt ständig für »seine Renner«. Und der Boss von Wiesenhof war sogar beim Kegelabend unseres Teams dabei. Da geht einem natürlich das Herz auf.

In diesem Jahr musstest du dir viele Gedanken über die Zukunft machen. Wie wird das Leben des - dann ehemaligen - Radprofis Jörg Ludewig in fünf oder zehn Jahren aussehen?Ludewig: Im Prinzip hat sich wenig an den Vorstellungen geändert, die ich bereits vor den Ereignissen im Sommer hatte. Ich hatte natürlich gehofft, so bis 36 bei T-Mobile fahren zu können und danach dann ähnliche Aufgaben zu übernehmen wie sie beispielweise ein Marcel Wüst hat: Teamsprecher, Repräsentant für Produkte oder für den Radsport.
Ich habe jetzt ja mit der Schiene JL-Shop für Radsportprodukte unter meinem Label das erste eigene Ding auf die Beine gestellt, das sich natürlich erst 'mal auf dem brutal umkämpften Sportartikel-Markt behaupten muss. Das muss über den Service, über ein tolles, abgefahrenes Design und ein super Preis-Leistungs-Verhältnis funktionieren.
Ich werde mit Sicherheit in fünf bis zehn Jahren immer noch hier wohnen, weil ich mich sehr wohl fühle, und werde mich mit genauso viel Power und Enthusiasmus für etwas engagieren wie jetzt für den Radsport. Was das genau sein wird, muss man mal abwarten.

Das Steinhagener Radrennen um den Großen Preis des WESTFALEN-BLATTes am ersten September-Wochenende - was kann man in Zukunft davon erwarten?Ludewig: Das Potenzial hat man dieses Jahr wieder gesehen, als trotz der Tour-de-France-Vorgeschichte und des ersten Fußball-Länderspiels unter Jogi Löw zur gleichen Zeit einige tausend Zuschauer an der Strecke waren. Ich gehe davon aus, dass man den Hauptsponsor durch einen potenten Co-Sponsor noch unterstützen kann, um das Rahmenprogramm noch etwas dynamischer zu gestalten als bisher, dass wir Live-Musik anbieten können, um noch mehr Ambiente an die Strecke zu bekommen und mehr junge Leute anzusprechen.
Das ist der Weg, den wir einschlagen müssen, um zusätzlich zu den Radsportfans weitere allgemein sportlich interessierte Bürger zu mobilisieren. Was das Fahrerfeld angeht, kann man wegen der entsprechenden Kontakte davon ausgehen, dass wir Fahrer von T-Mobile, Milram, Gerolsteiner, Wiesenhof plus einen Hochkaräter aus dem Ausland an den Start bringen können.

Felix Schäfermeier aus Versmold ist ein talentierter Radsportler in der Nachbarschaft, der das Zeug dazu hat, vielleicht in einigen Jahren in deine Fußstapfen zu treten. Ist er mit dem Wechsel zu Lamonta den richtigen Schritt gegangen, und was traust du ihm in der Zukunft zu?Ludewig: Seine Entscheidung war richtig, denn das Lamonta-Team 2007 ist mit dem Rennkader des Vorjahres nicht mehr zu vergleichen: Statt auf Hondo, statt auf Weigold und Glasner setzt man voll auf die U23-Nachwuchsschiene. Besser konnte es deshalb für ihn nicht laufen: Er hat bei einem regionalen Profiteam eine sehr gute Presse; er wird nicht verheizt, weil die Verantwortlichen Kramer und Sievers zwei versierte Leute sind. Das A und O bei Felix aber ist: Der fährt mit 'nem dreckigen oder sauberen Rad, dem kannst du das Lenkerband abmachen, dem kannst du 'ne 500-Euro-Hütte hinstellen, das ist ihm alles egal - weil er ein Ziel hat. Im Gegensatz zu vielen anderen in seinem Alter, die überhaupt nur losfahren, wenn sie Carbonlaufräder drin haben oder die Brille schneeweiß ist.
Ich sehe ihn deshalb als eines der größten Talente, weil er menschlich so grundfest ist und ganz konsequent seine Linie durchzieht - einer der größten Pluspunkte, die ein Radprofi haben muss. Dazu kommt, dass er sich höllisch quälen kann und sehr trainingsfleißig ist. Wichtig ist auch sein Elternhaus, das den Radsport unterstützt, ohne den Fokus zu verlieren, dass er seine Schulausbildung abschließt.

Artikel vom 25.11.2006