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»Die Politik presst weiter ideologisch verbissen an
einer Zitrone
namens Familie.«

Leitartikel
Eine Wahnsinnsdebatte

Kitas
und
Kindergeld


Von Jürgen Liminski
Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Verlust der Kontrollfähigkeit über Gefühle und Verhalten auf der einen Seite - Stichwort Emsdetten - und der frühkindlichen Erziehung auf der anderen. Bindungsforschung, pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie weisen immer deutlicher auf diese Zusammenhänge hin. In London alarmierten jüngst Wissenschaftler die Öffentlichkeit mit dem Aufruf, die Kinder unter drei Jahren nicht permanent fremdbetreuen zu lassen. Das führe zu Depression und Aggression.
Stattdessen sollte man die Eltern in ihrer natürlichen Erziehungskompetenz stärken.
Aber hierzulande ignoriert man die Erkenntnisse der neueren Forschung. Jüngstes Beispiel ist die Wahnsinnsdebatte um ein kostenloses Kindergartenjahr. Es soll durch Einfrieren des Kinderfreibetrages oder durch Kürzung des Kindergeldes finanziert werden.
Abgesehen davon, dass dies verfassungswidrig wäre, weil dieser Freibetrag das Existenzminimum sichern soll (wofür er jetzt schon nicht ausreicht), würden bei solch einer Regelung de facto die Eltern von Schulkindern zur Kasse gebeten, nicht die Gesellschaft oder gar die Kinderlosen. Profitieren würden vor allem die Reichen, weil die Armen sowieso keine Kindergartenbeitrag zu zahlen brauchen.
Zur sozialen Schieflage käme hinzu, dass die Freiheit der Eltern, ihre Kinder selber zu erziehen, finanziell weiter eingeschränkt würde. Sie würden die Fremdbetreuung mitfinanzieren auf Kosten der Selbsterziehung. So will es aber offenbar die große Koalition, allen voran die Familienministerin.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt auf die soziale Schieflage und das Unrecht gegenüber Eltern hingewiesen. Wir leben im permanenten Verfassungsbruch, sagt Paul Kirchhof. Die Politik aber presst ideologisch verbissen weiter an der Zitrone namens Familie. Vieles könnte so oder ähnlich aus der DDR abgeleitet sein. Verbohrtheit und die damit einhergehende Verdrängung der Erkenntnisse aus Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie ist geradezu gefährlich. Sie produziert mittelbar Gewalt oder Depression.
Das Ergebnis ist eine wachsende Zahl verhaltensgestörter Kinder - mittlerweile jedes vierte bei der Einschulung - und eine wachsende Wahrscheinlichkeit von Gewalttaten junger Menschen. Solidarisches Verhalten, Gemeinsinn, soziale Kompetenz, emotionale Intelligenz, Verantwortungsgefühl für andere, all das sind Voraussetzungen, von denen der Staat lebt. Die Familie, insbesondere die Mütter sind es, die diese Voraussetzungen schaffen. Ihre fortschreitende Diskriminierung wird unerträglich. Und all das im Namen des hohen C.
Man kann nur hoffen, dass der Parteitag am Wochenende sich dieses Themas annimmt und die Blender in der großen Koalition zur familienpolitischen Räson ruft. Denn das müsste auch der statistikgewohnten Kanzlerin einleuchten: Das Volk, das sind vor allem Familien. Und ohne Familien als Wähler gibt es keine Volkspartei.

Artikel vom 23.11.2006