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Stellvertretend für alle nominierten Forscher-Teams zeigen sich Dr. Jürgen Seekircher (DaimlerChrysler), Manfred Meißner und Prof. Dr. Peter Knoll (beide Robert Bosch) als Licht-Gestalter.Foto: DaimlerChrysler

Ich sehe was, was du nicht siehst

Deutscher Zukunftspreis zeichnet Lichtgestalten der Wissenschaft aus

Von Esther Steinmeier
Berlin (WB). Licht ist Leben. Es spendet Wärme, es macht uns sehen und es lässt uns wachsen. Zu allen Zeiten haben Menschen Licht genutzt, um ihr Leben zu verbessern, um Fortschritt zu erreichen.

Die Licht-Gestalter von heute sind Pioniere in der Wissenschaft. Morgen zeichnet Bundespräsident Horst Köhler eines von vier nominierten Forscherteams mit dem mit 250 000 Euro dotierten Deutschen Zukunftspreis aus (ZDF, 22.30 Uhr).
»Das Auto lernt das Sehen«, sagt Jürgen Seekircher. Der Nachtsicht-Assistent, den Ingenieure von DaimlerChrysler und Bosch entwickelt haben, ist ein Lichtblick. Dr. Jürgen Seekircher, Prof. Dr. Peter Knoll und Dipl. Ing. Manfred Meißner wollen das Fahren bei Dunkelheit sicherer machen. Das System, das bereits in der Mercedes S-Klasse arbeitet, besteht aus mehreren Komponenten: Zwei Infrarot-Scheinwerfer beleuchten die Fahrbahn - mit 150 Metern etwa so weit voraus, wie es das Fernlicht tut. Eine Spezialkamera nimmt die Bilder von der ausgeleuchteten Straße auf und schickt sie als Schwarzweiß-Bild auf ein Display im Armaturenträger. Für Seekircher ist der Nachtsicht-Assistent der Beginn einer neuen Ära von Assistenzsystemen. »Bei weiterer Entwicklung könnte ein solches System in Zukunft zum Beispiel unterschiedliche Objekte identifizieren: eine rote Ampel, ein Verkehrszeichen oder einen Fußgänger. Hier tut sich eine ganz neue Welt auf.«
Bei ihm könnte der Name Programm sein: Prof. Dr. Stefan Hell vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen beleuchtet die Vorgänge im Inneren der Zellen - und hat dabei die 130 Jahre alte Abbesche Grenze überwunden. Nach dieser Regel kann die Lichtmikroskopie nur solche Details scharf zeigen, die mindestens die Hälfte eines Mikrometers (Tausendstel Millimeter) voneinander entfernt sind. Stefan Hell hat ein Mikroskop entwickelt, mit dem Auflösungen von 20 Nanometern (Millionstel Millimeter) erreicht werden können, also die zehnfache Überschreitung des Abbeschen Grenzwerts. So wird es möglich, Zellvorgänge bis zur Molekülebene zu beobachten und zu verstehen.
Der Scotty der Biologie heißt Dr. Karin Schütze. Ihr Laserlicht ist ein Transporterstrahl. Wenn stark gebündeltes Laserlicht auf eine Zelle trifft, dann kann sie damit nicht nur berührungsfrei ganze Zellareale herausschneiden, sondern der Laserstrahl katapultiert das gewünschte Material heraus und zielgenau in ein Probengefäß. Ein Phänomen, das Karin Schütze mit ihrem Ehemann entdeckte und nun mit ihren Team-Kollegen Dr. Carsten Hoyer und Dr. Yilmaz Niyaz weiter nutzt für die Entwicklung von Laser-Mikromanipulations-Systemen und Präparationsverfahren in der heutigen Carl Zeiss Tochterfirma P.A.L.M. Microlaser Technologies in Bernried am Starnberger See. »Photonische Technologien haben den Vorteil, dass sie berührungslos arbeiten und die Zelle nicht schädigen. So kann man erkennen, wann sich eine Zelle daneben benimmt. Krankheiten können früher erkannt und die Heilungschancen verbessert werden«, sagt Karin Schütze.
Wenn eine Wunderkerze ihre Funken versprüht, geschieht dies scheinbar ungeordnet. Wenn Neuronen im Hirn übermäßig synchron feuern, gerät der Mensch paradoxerweise aus dem Takt: Es entstehen krankhafte Bewegungsstörungen, schwere Tremorzustände wie bei der Parkinsonschen Erkrankung, bei Epilepsien oder Depressionen. Die Herausforderung für Prof. Dr. Peter Tass vom Forschungszentrum Jülich und für Prof. Dr. Volker Sturm von der Universität Köln besteht darin, heilsame Unordnung im Hirn zu schaffen. Mit einem neuartigen Hirnschrittmacher werden gezielt Reize gesetzt, die mit wenig Strom schonend und effektiv das Nervenfeuer aus dem Takt bringen. Und nicht nur das: »Wir nutzen die Lernprinzipien in der Nervenzellstruktur, damit die Nervenzellverbände das krankhafte 'Verhalten' wieder verlernen. Damit wollen wir lang anhaltende Wirkungen erzielen«, sagt Tass. »Der Fortschritt besteht darin, das Systemverhalten zu verstehen und dieses Verständnis zu nutzen.« Das ist Tass und Sturm gelungen. Sie haben das Wunder der Wunderkerze verstanden.
Die im Dunkeln sieht man nicht. Das ist, was uns das Licht verspricht.

Artikel vom 22.11.2006