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Das kann keine Mutter bieten

Offene Ganztagsschule: Versuch einer ehrlichen Bestandsaufnahme

Von Catarina Hofmann
Gütersloh (WB). Eine ehrliche Bestandsaufnahme zur offenen Ganztagsschule in Gütersloh ist schwierig. Die Schulleiter sind stolz auf den erreichten Stand, Eltern schrecken vor einer »Nestbeschmutzung« zurück, sofern sie sich überhaupt dafür interessieren, was mit ihren Kindern am Nachmittag passiert.

17 von 18 Gütersloher Grundschulen sind bereits am Nachmittag geöffnet. Die verbleibende Schule wird zum nächsten Schuljahr folgen. 631 Kinder nutzen das Angebot. Laut Roland Thiesbrummel vom Fachbereich Schule wird ein »Deckungsgrad« von 25 Prozent der insgesamt 4300 Grundschüler angestrebt - also 1075 Schüler. Für dieses Ziel investieren Bund und Stadt allein in diesem und im kommenden Jahr 1,3 Millionen Euro in den Ausbau der Grundschulen. Jeder Gruppe (25 Kinder) stehen 115 000 Euro Investitionssumme zur Verfügung.
Soweit die materiellen Voraussetzungen. Doch was passiert in den schicken, neuen Räumen nach offiziellem Schulschluss? Die Betreuung der Kinder wurde vertraglich delegiert - an die Arbeiterwohlfahrt (AWO) zum Beispiel, die Volkshochschule, das Kolping-Bildungswerk, den Fachbereich Jugend und an zwei Fördervereine. »Natürlich gibt es Startschwierigkeiten, wie bei jedem Neuanfang«, meint Roland Thiesbrummel. Da sei die Zusammenarbeit zwischen Träger und Schule. Gegenwärtig werde verstärkt an der Vernetzung von Vormittags - und Nachmittagsbereich gearbeitet. Solange nicht überall komplette Klassen das Ganztagsangebot nutzten, Erzieher auch im Vormittagsbereich in den Klassen seien, sei der Austausch erschwert.
Isabel Scharmann hat wegen einer angebotenen Umschulung ihren Sohn an der Isselhorster Grundschule im Ganztag. Ihrem Kind habe es gut getan. Die Erzieherinnen seien sehr engagiert. So wurde auf Konflikte zwischen älteren und jüngeren Kindern reagiert, indem einmal pro Woche ein Kinderkonferenz stattfindet, bei der alle diese Dinge auf den Tisch kommen. Sie sei »hellauf begeistert«. Es sei natürlich vom Kind abhängig. Manche haben Probleme in der gemischten Gruppe, sich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren. Die Eltern seien dann verärgert, wenn noch nicht alles erledigt sei. »Kontrolle bleibt nötig. Jeden Tag gucke ich jedes einzelne Heft durch,« meint Sylvia Gerken, Elternsprecherin, deren Sohn den Nachmittag in der Kapellenschule verbringt. Sie schwärmt, dass die Selbstständigkeit ihres Sohnes, ein Einzelkind, gefördert werde. Jeden Tag sei eine andere AG im Angebot, neben Sport, Musik und Kunst, sogar Spanisch und Selbstverteidigung. Das könne keine Mutter zu Hause bieten oder sie müsse ständig im Auto sitzen. In der die Paul-Gerhardt-Schule nutzen etwa 20 Kinder das Angebot. Die Kooperation mit dem Sportverein wird als großes Plus angesehen. Es ist neben Projekten aber die einzige Kooperation. Zweimal pro Woche gehen einige Kinder dorthin, was die Gruppengröße mindert. Das wirkt sich gut auf die Gruppe aus. Nicht allen fällt es leicht, in der Gruppe die Hausaufgaben konzentriert zu erledigen. Zumal Kinder aus sozial schwachen Familien in der Ganztagsbetreuung untergebracht seien, für die dringend eine ausgebildete Erzieherin nötig wäre. Catarina Heimbach als Alleinerziehende ist ebenfalls mit dem Nachmittagsangebot der Isselhorster Grundschule zufrieden. Natürlich seien es »Kinderschuhe, die sich entwickeln müssten«, aber sie sei glücklich, dass ihr so das Arbeiten ermöglicht werde. Ihr Verbesserungsvorschlag: wenn vielleicht wie in deutschen Großstädten längst üblich, die Betreuung flexibler wäre. Wenn der Chef Überstunden einfordere, sei es schwierig zu sagen, sie müsse nun aber die Kinder abholen.

Artikel vom 20.11.2006