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Mit »Sam« und »Lars«
den Ernstfall proben

Sieben Hauptschülerinnen werden »Mütter auf Zeit«

Von Stefanie Hennigs
Versmold (WB). Lars schreit. Eine Stunde ist der Knirps erst alt -Êund will doch schon ganz schön viel. Lisa (13) ist darauf vorbereitet. Vorsichtig nimmt sie das Baby auf den Arm und setzt das Fläschchen an. Ein zufriedenes Schmatzen ertönt. Das werden Lisa und ihre sechs Mitschülerinnen bis Montag noch häufiger hören.

Ob im Schulbus oder auf dem Schulhof: Sieben Mädchen ziehen in der städtischen Hauptschule alle Blicke auf sich. Denn sie sind »Mütter auf Zeit«. Seit gestern Mittag erleben sie, welche Verantwortung ein Säugling bedeutet. Natürlich nicht am »lebenden Objekt«: Sie kümmern sich um Babysimulatoren, die die gleichen Bedürfnisse äußern wie »normale« Säuglinge. Sie schreien, wenn sie gefüttert oder gewickelt werden wollen und ihr Kopf nicht vorsichtig gehalten wird. Sie möchten körperliche Zuwendung, gepuckert werden, um ein Bäuerchen zu machen -Êund manchmal schreien sie auch einfach ein paar Minuten, wenn sie nöckelig sind.
»Babybedenkzeit« nennt sich das Projekt, das erstmals an der Hauptschule läuft und in den vergangenen Tagen bereits in der Matthias-Claudius-Schule umgesetzt wurde. Das Ziel: Teenagerschwangerschaften verhindern, die in den vergangenen Jahren immer mal wieder vorgekommen sind. »Wir möchten den Mädchen eine realistische Einschätzung von dem vermitteln, was Mütter erwartet«, sagt Schulsozialarbeiterin Nina Bösebeck. Sie erlebte mit den sieben 13- bis 15-Jährigen die »Geburt« von Lars, Sophie, Sam und Joshua. Fünf Tage und vier Nächte lang werden die »Mütter« die Verantwortung für die Babys haben, in denen Mini-Computer und Sensoren sofort registrieren, wenn die Puppe zu lange schreien muss, bis sich jemand um sie kümmert, sie grob behandelt oder vernachlässigt wird.
Eine Stunde nach der »Geburt« ist die Aufregung noch groß, wenn eines der Babys schreit -Êauch wenn sich die Mädchen teilweise zu zweit um ihren Nachwuchs kümmern, sich beim Wickeln und Füttern unterstützen. »Meine Mutter hat mir vorher an einem Teddy gezeigt, wie ich einen Säugling am besten halte«, erzählt Lisa (13). Sie hat sich wie die anderen auf das »Muttersein« vorbereitet, Babykleidung, Kinderwagen und andere Utensilien organisiert - und war gestern wie alle ganz schön aufgeregt. »Ich finde es toll«, sagt sie. »Denn ein Baby kann man sich in unserem Alter wegen der Schule und der Ausbildung nicht leisten.« Dass sie sich alleine um ein Baby kümmert, findet sie nicht schlimm: »Schließlich geht es alleinerziehenden Müttern genaus so.«
Neele (13) hat in der ersten Stunde bei »Sophie« schon zweimal Windeln gewechselt - gemeinsam mit Santana (15): »Ich möchte sehen, wie es ist, sich in unserem Alter um ein Baby zu kümmern«, sagt sie. »Eine gute Erfahrung für später«, stimmt ihr Alla (13) zu. Alle Mädchen haben ihren normalen Tagesablauf bis Montag über den Haufen geworfen: »Einfach mit Freunden weggehen -Êdas geht halt jetzt nicht«, sagt Christina (14). Nina Bösebeck hat den »Müttern« ihre Handynummer für die kommenden Nächte mitgegeben -Êfür den Notfall. Als »Tagesmutter« springt sie auch ein. Allerdings nur während des Unterrichts -Êdie einzige kinderlose Zeit für die Mädchen bis Montag.

Artikel vom 17.11.2006