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Mitgefühl und ein Sinn für Würde

Neue WESTFALEN-BLATT-Serie: Die Bestatter im Altkreis helfen in schweren Stunden weiter

Von Klaudia Genuit-Thiessen
Halle (WB). Der schwarze Anzug ist Berufskleidung. Die freundlich Anteil nehmende Miene von Horst Avermeyer ist echt. Lebenserfahrung und Mitgefühl sind ein Muss in seinem Beruf: Der Tischlermeister aus Halle führt ein Bestattungsunternehmen. DAS WESTFALEN-BLATT stellt die in dieser Branche tätigen Institute im Altkreis Halle in einer neuen Serie vor.

62 Jahre alt ist Horst Avermeyer. Und schon sein Großvater hat 1897 nicht nur die Tischlerei gegründet, sondern auch die Haller Toten mit Würde unter die Erde gebracht. »Früher haben die Nachbarn den Verstorbenen eingebettet«, weiß der Bestatter. Doch schon damals ist auch seine Großmutter als Näherin oft genug in Trauerhäuser gerufen worden: Hier mussten die schwarzen Sachen ausgebessert werden, dort fehlte ein Sterbehemd. Die Nähmaschine wurde auf dem Fahrrad transportiert.
Damals gab es oft noch eine Aussegnung im Haus, bei der die Angehörigen noch vor der Beerdigung Abschied von ihrem Verstorbenen nahmen. Wer wird heute noch zu Hause aufgebahrt? Diese Zeiten sind längst Vergangenheit. Und oft genug ärgert Horst Avermeyer sich darüber, dass »die Pietät ein bisschen auf der Strecke geblieben ist«, wie er vorsichtig sagt. Da gibt es die Menschen, die irgendwann einmal hierher gezogen sind, zurückgezogen leben und einsam sterben. Eine Beerdigung ganz ohne Trauerfeier, ohne tröstende Worte, ohne Gebete am Grab, da beschleicht den Bestatter, der schon vieles gesehen hat in seinem Leben, ein ganz seltsames Gefühl. Er freut sich, dass die Haller Pfarrer auch in diesen Fällen gern zur Stelle sind, wenn der Sarg mit der sterblichen Hülle in die Erde gelassen wird.
Da gibt es aber leider auch andere Aufträge. Horst Avermeyer: »Vor zwei Jahren hat mich jemand beauftragt, dessen Tante ich schon bestattet hatte. Jetzt war eine weitere Tante verstorben. Und der Mann forderte kühl: ÝMachen Sie es genauso wie damals und schicken Sie mir die RechnungÜ«.
Eine Beerdigung ist immer mit hohen Kosten verbunden. Und das liegt nicht allein am Sarg, wo die preisgünstigen Modelle ab etwa 500 Euro zu bekommen sind. Aber sie ist deshalb keine reine Geldfrage. Heute nehmen viele Familien Abstand von einer Trauerfeier, wie auch Thaddäa Avermeyer (56) weiß, die ihren Mann nach Kräften unterstützt und mit ihm Gespräche mit den Angehörigen führt.
Waren es früher die Nachbarn, die der Familie vieles abgenommen haben, sind es heute oft Horst Avermeyer und seine Kollegen, die mit ärztlichem Totenschein und Familienbuch beim Standesamt die Sterbeurkunde abholen, die bei der Stadt oder dem evangelischen Kirchenamt die Frage mit der Grabstelle klären. Und die sich um all die praktischen Geschichten kümmern: Wer bestellt die Sargträger, Kranz oder Blumen beim Gärtner? Soll es eine Kondolenzliste geben? Und welche Kleidung ist für den Verstorbenen angemessen?
Nicht zu vergessen: der Sarg. Einen ganz ungewöhnlichen Wunsch hatte vor Jahren ein Exzentriker, der in Halle seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Horst Avermeyer: »Der Mann hatte sein Leben in großen Räumen zugebracht. Auch das letzte Haus sollte groß sein«. Er ließ sich dann bestatten in einem 80 mal 80 mal 2,20 Meter großen Sarg aus vier Zentimeter starkem Teakholz, und innen lag er in einem zugelöteten Zinksarg. Seine letzte Ruhe fand der Verstorbene auf eigenen Wunsch in einer Grabstelle, die er für das nächste halbe Jahrhundert erworben hatte, also 20 Jahre länger als üblich. Allerdings nicht auf dem Haller Friedhof.
Die Bedeutung jedes einzelnen Lebens und die Erinnerung daran gehört den Lebenden, heißt es irgendwo. Auch die Beerdigungen sind Sache der Lebenden. Und der Bestatter selbst? Privat hat Horst Avermeyer Vorsorge getragen: »Ich weiß schon, wo ich liegen werde und kenne meine Nachbarn auf dem Friedhof«.

Artikel vom 15.11.2006