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Hornisten essen
gerne Blumen

Bob Ross schildert Orchesterleben

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Orchestermusiker nennen Wagners »Ring der Nibelungen« scherzhaft »Ring, der nie gelungen«. Weil es im Bayreuther Festspielhaus keine Klimaanlage gibt, spielen sie dort nicht im Frack, sondern in kurzen Hosen oder sogar im Fußballtrikot.
Bob Ross gründete 1985 das Bläserensemble »Blechschaden«.

Nach der »Siegfried«-Aufführung stemmen die Hornisten in ihrem Stammlokal viele Gläser Bier und verzehren traditionsgemäß die zur Dekoration aufgestellten Blumen. Diese Anekdote stammt von Bob Ross, seit mehr als 20 Jahren Hornist der Münchner Philharmoniker. Er hat mehrfach auf Bayreuths grünem Hügel musiziert und beschreibt in seinem Buch »Pfiffe & Applaus« erstmals die Welt der klassischen Musik aus der Sicht des Orchesters.
Streicher und Bläser leiden demnach unter despotischen Dirigenten wie Sergiu Celibidache, bekommen irgendwann den »Orchesterfrust«, weil sie immer wieder dieselben Werke abspulen, und zeitlebens macht ihnen die Erwartung der Zuhörer zu schaffen, perfekt spielen zu müssen. Das Publikum sei von den fehlerfreien Einspielungen auf CD verwöhnt und gehe mit diesem Maßstab in die Konzerthallen, betont Ross. Um dem Druck gewachsen zu sein, müsse ein Musiker zwingend Ausdauer und Disziplin aufbringen. Ross: »Wenn man einen Tag nicht übt, merkt man es selber, nach zwei Tagen hören es die Kollegen, am dritten Tag das Publikum.«
Besonders genau hört der Dirigent hin. Sergiu Celibidache war 17 Jahre lang der Chef von Bob Ross bei den Münchner Philharmonikern. Ihn beschreibt der Autor als eitlen, herrschsüchtigen, pedantischen und unfreundlichen Menschen, der die Musiker regelmäßig beleidigt habe. Sie hätten bedauert, dass Celibidache noch mit 86 Jahren vom Dirigieren nicht lassen konnte. Mit der »Pudelnummer« zögen die Selbstdarsteller auf dem Podest den Beifall in die Länge. Dabei animierten sie viele Musiker dazu, sich wie die Pudel nacheinander zu erheben.
Im Orchester werde unter Musikern nach Herzenslust gefrozzelt. »In welcher Tonart haben die Trompeten von Jericho gespielt«, fragt Ross beispielhaft und antwortet: »In d-Moll, sie haben die Stadtmauern de-mol(l)iert.« Ein Orchester gleiche einem Schwimmbad: Es werde von der Stadt unterhalten, egal ob die Bürger das Angebot annehmen. Dank hoher Arbeitsplatzsicherheit sei der Orchestergraben allemal besser »als eine richtige Grube«.
Bob Ross: Pfiffe & Applaus: Ein humorvoller Führer durch die Welt der klassischen Musik, Verlag LangenMüller 2006, 160 Seiten, 14,90 Euro.

Artikel vom 10.11.2006