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Der »Bambus im Herbstnebel«

Japanische Lesung mit Wolfgang Brosche in Brackweder Bibliothek


Brackwede (ken). »Ein Haiku hast du - wenn siebzehn Silben sinnreich - drei Zeilen teilen«, reimt Wolfgang Brosche augenzwinkernd. Seiner Ansicht nach darf man die hohe japanische Gedichtkunst der »Haikühe« auch mit einer Prise Humor versehen. Auf Einladung der Volkshochschul-Nebenstelle Brackwede trug der Liebhaber japanischer Literatur am Freitagabend in der Stadtteil-Bibliothek ausgewählte Werke japanischer Dichter vor - in deutscher Übersetzung.
»Die strenge Silbenverteilung des Haiku - fünf, sieben, fünf - macht nur im Japanischen Sinn, da es sich um eine Silbensprache handelt«, eröffnet Brosche. Statt bei den deutschen Übersetzungen die Silben zu zählen, richte man sein Augenmerk darauf, wie mit wenigen Worten durch kunstvolle Sprachbilder ein großer Bedeutungsreichtum komponiert werde.
Vordergründig sei in der Regel ein Naturthema: »Im schneeweißen Dunst - wo See und Himmel eins sind, eine Scheibe rot - die aufgehende Sonne«. Doch als der Dichter Shiro diese Zeilen im 17. Jahrhundert verfasste, hatte er viel mehr als ein stimmungsvolles Landschaftsbild im Sinn: »Der Titel lautet ÝDie FlaggeÜ«, verrät Brosche und weist auf die japanische Fahne mit dem roten Kreis auf weißem Grund.
Er eröffnet seinen Zuhörern Bedeutungshorizonte: Traditionalisten sähen in dem Sprachbild die aufsteigende Macht Japans; Shintoisten, Anhänger der Naturreligion des Landes, verknüpften es mit ihrer Vorstellung von der Sonnenscheibe als Ur-Göttin, auf die sich die Tennos, die japanischen Kaiser, zurückführten. Brosche, sonst Fernsehautor und Filmemacher, beeindruckte sein Publikum mit ansprechend vorgetragenen Versen, augenöffnenden Interpretationen und viel kulturellem Hintergrundwissen.
Zur japanischen Lyrik kam der studierte Theaterwissenschaftler, der auch eine Literaturwerkstatt leitete, durch die Bekanntschaft mit Gesa Neuert, Vizepräsidentin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft. Sie bereicherte die Lesung mit Exponaten der japanischen Alltagskultur.
Bei Grüntee und Glückskeksen lauschten mehr als 25 Literaturfreunde Brosches Ausführungen - und wurden am Ende selbst kreativ: Als »Haikai-Gemeinschaft« schufen sie ein eigenes Gedicht: »Bambus im Herbstnebel - krächzender Vogelzug - die Tage versiegen«.
Über den gelungenen Abend freuten sich besonders Katharina Günter, Leiterin der Stadtteil-Bibliothek, und Christel Giesecke, Leiterin der VHS-Nebenstelle: »Wir feiern heute mit der 10. gemeinsamen Lesung ein kleines Jubiläum«, erklärte Giesecke.

Artikel vom 13.11.2006