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Vollendeter Genuss bei den »Unvollendeten«

350 Zuhörer kamen Samstag zum Musikalischen Herbst in die Haller Johanniskirche

Halle (el). Zweimal unvollendet und doch ein vollendeter Musikgenuss, der mit anhaltendem Applaus belohnt wurde. Zum Musikalischen Herbst zog es am Samstag 350 Zuhörer zu Schuberts Sinfonie Nr.7, vor allem aber zu Mozarts »Requiem« in die Johanniskirche. Die Stimmung schwankte dabei zwischen Bedrücktung und süßer Sehnsucht.

Mit Leichtigkeit schwebte die Tragik durch die Kirchenräume, als das Bielefelder Philharmonische Collegium unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Martin Rieker zur »Unvollendeten« von Schubert anhob. Eine zarte Melodie über düsteren Bass-Linien, feine Wellen tänzerischer Klarheit, die sich über dunklen Akkorden brechen und ins Stolpern geraten. So präsentierte sich die Sinfonie in h-moll, die Franz Schubert so rätselhafterweise nach wenigen Takten des dritten Satzes abbrach. Warum ist bis heute unklar, vor allem, weil er danach noch mehrere Sinfonien erfolgreich beendete.
Die zwiespältigen Klänge bildeten den perfekten Einstieg in den bemerkenswerten Totengesang Mozarts: das Requiem. So untypisch schnörkellos und nahezu erhaben einfach entfaltet sich dieses Fragment, das beim Tod des Komponisten am 5. Dezember 1791 nur zu knapp zwei Dritteln vorlag. Wirklich Mozart wurde also nur im »Introitus« hörbar, dem einzigen Teil, der neben dem dominanten Chor, der Solopartie für den Sopran und der Orchestrierung ganz aus einem Guss war.
Hier zeigte sich, wie sehr sich dieses Werk von anderen Mozart-Kompositionen unterscheidet: Klar, geschlossen, auf einander aufbauende Melodien, die ohne spielerische Eskapaden und deutliche Pointierungen auskommen. Dieser Mittelweg ohne übergroße Vorfreude auf himmlische Erlösung oder Betrübnis düsterer Trauer blieb auch in den von Mozart noch selbst skizzierten Teilen erkennbar - dem »Kyrie« und der Sequenz vom »Dies irae« bis zum »Confutatis«. Hier stammen die Chorstimmen - insgesamt der bestimmende Anteil des Requiems -, die sich folgenden Solopartien und die Basisinstrumentierung noch von Mozart selbst. Vor allem die Soli, die sich dialogisch in Sopran (Corinna Kuhnen) und Tenor (Christoph Schröter) einerseits sowie Alt (Linda Laible) und Bass (Kai-Uwe Schöler) andererseits trennten und wieder verbanden, zeigten hier die ausgewogene Rückbesinnung auf Höhen und Tiefen des Lebens.
Die Orchestrierung präsentierten der Sänger der Johanniskantorei und der Jugendchor, der sich erstmals mit diesem großen Werk dem Publikum vorstellte, in einer überarbeiteten Fassung. Süßmayr hatte sie zunächst in großer Eile »nachgetragen«, doch Franz Beyer nahm ihnen später ein wenig ihre »Fremdheit«. Allerdings wurde dabei vor allem die Instrumentierung im Sinne Mozarts »gelichtet«. Dennoch blieb der Süßmayr'sche Klang deutlich genug: Offertorium, Sanctus und Communio stammen nahezu gänzlich aus seiner Feder. Und obwohl sich der Mozart-Schüler dazu der fertigen Anfangs-Motive bediente, geriet dieser Abschluss wesentlich formenreicher, blieb der Bruch spürbar.

Artikel vom 06.11.2006