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»König Lustig« wird rehabilitiert

Als Westfalen ein modernes Königreich war - Ausstellung in Hofgeismar

Von Dietmar Kemper
Bielefeld/Hofgeismar (WB). Fremdherrscher, Ehebrecher, Geldverschwender: Seit 200 Jahren lässt die deutsche Geschichtsschreibung an »König Lustig« kein gutes Haar. Eine Ausstellung in Hofgeismar zeichnet von Jérôme, dem König von Westfalen, ein anderes, faires Bild.

»Wir haben den Abfalleimer der Geschichte aufgestellt und werfen all die Vorurteile hinein«, sagte gestern der Leiter des Stadtmuseums Hofgeismar, Helmut Burmeister, dieser Zeitung. Die Ausstellung »König Jérôme und der Reformstaat Westphalen«, die am Sonntag eröffnet wird, beschreibt die von Napoleons Bruder eingeleiteten Reformen und das freiere Geistesleben, aber auch den Widerstand des Adels gegen den Verlust von Privilegien. Außerdem geht es um den Vorwurf, Jérôme habe ein ausschweifendes Leben geführt und das Geld seiner Untertanen verprasst.
Das Königreich Westfalen währte nur sechs Jahre: von August 1807 bis Oktober 1813. Als Napoleon die Völkerschlacht bei Leipzig (Oktober 1813) und damit die Herrschaft über Europa verlor, war das Ende des Reformstaates besiegelt. 2,6 Millionen Menschen lebten im Königreich: Es bestand aus Kurhessen, dem Herzogtum Braunschweig und Teilen des Königreichs Hannover. Außerdem gehörten die preußischen Gebiete westlich der Elbe, die Reichsabtei Corvey, die alte Grafschaft Ravensberg mit Gütersloh und einem Teil Bielefelds sowie das Fürstentum Minden dazu. Hauptstadt des 64 000 Quadratkilometer großen Gebildes war Kassel.
»Das Königreich Westfalen war der erste Staat auf deutschem Boden mit einer geschriebenen Verfassung«, betont die Historikerin im Stadtarchiv Bielefeld, Bärbel Sunderbrink. Getreu den Prinzipien der Französischen Revolution hätten alle Bürger die gleichen Rechte genossen. Jérôme habe in Verwaltung, Gerichtswesen und Militär eine Reihe von Reformen mit dem Ziel angestoßen, die ständisch-hierarchische in eine bürgerlich-egalitäre Gesellschaft zu verwandeln, sagte die Diplom-Archivarin. Napoleons Bruder gewährte Juden die gleichen Rechte, gab Bürgerlichen die Chance, Offizier zu werden, führte klare Zuständigkeiten in der Verwaltung ein und demokratisierte die Gerichtsprozesse, in dem er Geschworene zum festen Bestandteil machte und Zuhörer zuließ.
Erstmals mussten sich die Ressorts an Haushaltspläne halten, und Jérôme selbst akzeptierte für sich eine Obergrenze für Ausgaben des Hofes. »Mit fünf Millionen Franken war das sehr viel«, weiß Helmut Burmeister, und dennoch sei der Vorwurf der Geldverschwendung nicht zwingend berechtigt. Die hessischen Kurfürsten hätten keine Obergrenze geduldet und das ganze Geld ihrer Untertanen als ihr eigenes angesehen. Mehr als Geld liebte Jérôme die Frauen: Mehrere Kinder wie die Tochter Jérômée, die aus der Beziehung mit seiner Geliebten Diana von Pappenheim aus Liebenau stammte, zeugten davon. »Nach damaligen Grundsätzen war der König unmoralisch, aber um die Kinder aus seinen Liebschaften hat er sich gekümmert und sie gefördert«, sagte Burmeister.
Die Bevölkerung störten weniger die Liebeleien ihres Herrschers als vielmehr die ungeheuren Kriegslasten. Sie mussten Napoleons Kriege finanzieren (Zwangsanleihen) und Männer stellen. Vom Russlandfeldzug 1812 kehrten nur 700 der 24 000 Soldaten aus Westfalen lebend zurück. Bei der Ausstellung im Stadtmuseum Hofgeismar (Telefon: 05671/4791) sind bis zum 28. Mai mehrere hundert Exponate zu sehen: darunter prunkvolle Uhren, Empire-Möbel, Porträts und Jérômes Schachbrett mit seinen Initialen und dem Wappen Westfalens auf der Rückseite. Seinen letzten Atemzug tat der als »König Lustig« verulkte Herrscher am 24. Juni 1860.

Artikel vom 03.11.2006