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Nach 34 Jahren
das Kruzifix im
Wald entdeckt

Eine unglaubliche Kreuz-Geschichte

Von Annemargret Ohlig
und Markus Poch (Fotos)
Senne (WB). Mehr als drei Jahrzehnte war es wie vom Erdboden verschwunden: das Kruzifix aus der Spiegelschen Kapelle auf dem Kamm des Teutoburger Waldes. Im Frühjahr dieses Jahres passierte jedoch das schier Unglaubliche. Die religiöse Kostbarkeit aus dem 17. Jahrhundert, die Unbekannte im Herbst 1972 vom Altar des kleinen Gotteshauses entwendet hatten, »kreuzte« völlig überraschend wieder auf.

»Eine Sennestädter Familie, die am Ostermontag Bärlauch in einem großen Waldstück an der Bodelschwinghstraße sammelte, bemerkte dabei einen kleinen hölzernen Arm, der zwischen dem Laub aus dem Boden ragte«, erzählt Dr. Melanie von Spiegel. Daraufhin schoben die Bärlauch-Sammler das Erdreich beiseite und entdeckten - das teilweise eingegrabene Kruzifix.
Als sie über ihren höchst ungewöhnlichen Fund die Polizei in Brackwede informierte, konnte diese das Kreuz mit der Christusfigur allerdings weder einer Verlustanzeige noch einer Straftat zuordnen - nach 34 Jahren nicht überraschend, wie sich später herausstellt. Deshalb bat die Kriminalpolizei die Bevölkerung um Mithilfe und ließ ein Foto des Kruzifixes in der Zeitung veröffentlichen. Das war der Beginn eines weiteren unwahrscheinlichen Kapitels in der Geschichte des kleinen Kreuzes. Die »Hauptrolle« in dieser Folgegeschichte spielt Kriminalhauptkommissar a.D. Günter Jahr.
»Als ich am 25. April morgens das WESTFALEN-BLATT aufschlug und das Bild sah, ging es mir heiß durch«, sagt er. »Das kennst du doch, das ist das Kruzifix aus der Spiegelschen Kapelle«, war sich der 70-Jährige sofort sicher. Denn der pensionierte Kriminalbeamte hat eine ganz besondere Beziehung zu dem so lange spurlos verschwundenen Kreuz.
»Neben meinem Beruf war ich von 1972 bis 1978 Jagdaufseher bei Spiegels«, erzählt er. »Dabei kam es gelegentlich vor, dass ich in die kleine Waldkapelle ging, deren Tür damals stets unverschlossen war und Wanderer zu einer stillen Einkehr einlud.« Als Günter Jahr eines Tages bemerkte, dass sich ein Arm der Christusfigur gelöst hatte, nahm er das Kruzifix mit und restaurierte es.
Doch kurz darauf kam der traurige Tag, als sich die 1975 verstorbene Baronin Carla Spiegel - Mutter von Dr. Melanie von Spiegel und des heutigen Barons Raban Spiegel - an Jahr wandte und ihm den Diebstahl des Kruzifixes mitteilte. »Ich war im Zuge der Gebietsreform von Bielefeld nach Brackwede vorübergehend in das dortige Kriminalkommissariat gekommen«, erklärt Günter Jahr. Er sollte bei der Abwicklung mitwirken, die damals eigenständige Landkreis-Polizei in die Bielefelder Polizei zu integrieren.
»So war es denn auch meine Aufgabe, die Anzeige in Brackwede aufzunehmen und zu schreiben.« Leider habe man den Diebstahl, der inzwischen strafrechtlich verjährt sei, nie aufklären können. Erst kürzlich habe er noch mit Bekannten über diese Sache gesprochen. »Vielleicht haben dem Dieb dabei die Ohren geklingelt.«
Nach der WESTFALEN-BLATT-Lektüre machte sich Günter Jahr umgehend auf den Weg nach Brackwede, um den besonderen Fund bei seinen Ex-Kollegen selbst in Augenschein zu nehmen. Danach war er sich sicher: Es ist das Kruzifix aus der Waldkapelle. »Die Klebestelle am Arm der Christusfigur war noch zu erkennen.« Was ihn dagegen verwunderte, war der relativ gute Zustand des Kreuzes.
Zwar waren das Schild mit der Inschrift »Jesus Nazarenus Rex Judaeorum« (Jesus von Nazareth König der Juden) und das Gesicht der Figur an anderer Stelle im Boden eingebuddelt gewesen. Aber es sieht nicht so aus, als habe es mehr als 30 Jahre im Wald gelegen. Dort könne es nur kurze Zeit gewesen sein, davon sind sowohl der pensionierte Kripobeamte als auch Dr. Melanie von Spiegel überzeugt. »Vielleicht ist der Täter gestorben und seine Angehörigen haben jetzt auf diese Weise das Diebesgut ÝentsorgtÜ, weil ihnen klar war, dass das Kruzifix nicht aus einem ehrlichen Ankauf stammte«, mutmaßt Günter Jahr.
Keine Mutmaßung, sondern festes Vorhaben der von Spiegels ist es, das Kreuz, das sich ursprünglich auf dem Sarg eines Generals in der Krypta einer Dorfkirche in Thüringen befand und dann auf dem Altar der ökumenischen Kapelle auf dem Kamm des Teutoburger Waldes seinen Platz hatte, dort auch wieder aufzustellen. Allerdings wird es jetzt erst einmal von Spezialisten für Kirchenkunst in Paderborn restauriert. »Diese Fachleute sollen uns auch beraten, wie wir das Kruzifix anschließend auf dem Altar so befestigen können, dass es nicht wieder entwendet werden kann«, sagt Dr. Melanie von Spiegel, überglücklich über die unverhoffte »Heimkehr« des Kreuzes nach mehr als drei Jahrzehnten.

Artikel vom 01.11.2006