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»Ich konnte nicht
einmal schreien«

Anklage wegen Vergewaltigung

Versmold (igs). Ob ein 43-jähriger Bad Rothenfelder tatsächlich wegen Vergewaltigung verurteilt wird -Êdaran bestehen seit dem gestrigen Prozessauftakt vor der X. großen Strafkammer am Bielefelder Landgericht Zweifel: Vorsitzende Richterin Jutta Albert erklärte nach der Vernehmung des 27-jährigen mutmaßlichen Opfers, dass Zweifel an der Glaubhaftigkeit bestehen würden.
Die junge Mutter, die angab, vor acht Jahren schon einmal beinahe vergewaltigt worden zu sein, hatte sich während ihrer Vernehmung in Widersprüche verstrickt. Die Staatsanwaltschaft warf dem 43-jährigen Mann vor, der zurzeit eine zweijährige Gefängnisstrafe wegen Drogenhandels verbüßt, im Sommer 2004 die heute 27-Jährige in ihrer Versmolder Wohnung sexuell genötigt und vergewaltigt zu haben. Die Ereignisse jenes Abends schilderte die Frau auf Nachfragen der Kammer gestern noch einmal bis ins kleinste Detail - oft stockend und mühevoll nach Worten suchend, zum Teil unter Tränen. Danach hatte sie den Bekannten ihrer Wohnungsnachbarin wie schon einige Male zuvor in die Wohnung gebeten, weil dieser sich mit ihrer Nachbarin lautstark gestritten hatte. »Ich wollte schlichten«, erklärte sie. Nachdem sie ihn später mehrfach gebeten habe zu gehen, habe er sie ins Schlafzimmer gedrängt, aufs Bett geworfen und sie ausgezogen. »Dann ist es zum Geschlechtsverkehr gekommen.« Ob sie sich gewehrt oder ihm vermittelt habe, dass sie keinen Verkehr mit ihm wollte, fragte Jutta Albert mehrfach nach. »Ich war so perplex, ich konnte nicht einmal schreien«, schilderte die Zeugin die Situation, die an das vielzitierte Bild vom »Kaninchen vor der Schlange« erinnert.
Den Eindruck, dass ihre Aussage ehrlich war, hatte die Polizistin (34), die vor Gericht über die beiden Vernehmungen der Frau berichtete: Diese war im Januar im Zuge der Ermittlungen wegen des Drogenhandels auf die Wache gebeten worden. Schon da war sie aufgrund der Aussage eines Dritten befragt worden, ob es gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gekommen war. Doch erst bei einer weiteren Vernehmung zwei Wochen später hatte die 27-Jährige das erzählt, was jetzt zur Anklage geführt hatte. Der Angeklagte selbst schwieg gestern beharrlich. Allerdings berichtete ein Kripo-Beamter, der ihn in der Haft vernommen hatte, dass der Angeklagte sehr wohl Geschlechtsverkehr -Êallerdings ohne Zwang - mit der Frau eingeräumt hatte. Damals soll der Angeklagte vermutet haben, dass die Wohnungsnachbarin zu den Anschuldigungen angestachelt hatte. Sie soll bei der Fortsetzung des Prozesses am 7. November gehört werden. Allerdings bestünden Zweifel, so Albert, ob der Anklage-Tatbestand bewiesen werden könne. »Die Beurteilung der Zeugenaussage macht der Kammer große Schwierigkeiten, weil vieles für, aber auch einiges gegen die Glaubhaftigkeit spricht.«

Artikel vom 01.11.2006