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Exil war für ihn keine Option

Der Gelehrte und Rabbiner Leo Baeck ist vor 50 Jahren gestorben

Von Bernhard Hertlein
Berlin (WB). Vor Auschwitz gehörten deutsche jüdische Gelehrte ganz selbstverständlich zu den Geistesgrößen, deren Leben und Lehre in Deutschland erinnert wurden. Nach Auschwitz sollte die frühere Selbstverständlichkeit den Nachgeborenen Verpflichtung sein.
Leo Baeck galt von Anfang an als liberaler Theologe.

Am 2. November 2006 jährt sich zum 50. Mal der Tod des jüdischen Gelehrten und Rabbiners Leo Baeck. Wie kaum ein Zweiter hat er die Haltung, den Glauben und den Zusammenhalt der Juden in der Republik von Weimar und als Präsident der »Reichsvertretung der deutschen Juden« auch in der grauenvollen Zeit des Nationalsozialismus gestärkt.
Baeck galt von Beginn an als liberaler - heute würde man sagen: westlicher - Theologe. Gegen Andersdenkende in seiner Religion war er tolerant, solange diese am Judentum festhielten. Beispielsweise stand er, obwohl ihm dies unter den anderen liberalen Juden scharfe Kritik eintrug, auch mit den Zionisten in Kontakt, die sich nicht in die deutsche Gesellschaft integrieren, sondern im Gegenteil in Palästina einen eigenen Staat streng nach ihren Richtlinien bauen wollten.
Als Adolf Hitler im Frühjahr 1933 die Macht an sich riss, rechnete Baeck von Anfang an nicht nur mit einer kurzen Regierungszeit. Besonders der Jugend empfahl er, sich auf eine Zeit im Exil vorzubereiten. Er erstritt für andere Auswanderungspapiere, intervenierte zu Gunsten gefährdeter Personen, versuchte immer wieder, das Schlimmste zu verhindern. Weder Drohungen noch Verhaftungen schreckten ihn ab. Als die Gestapo die jüdischen Gemeinden zur Kooperation bei der Deportation ihrer Mitglieder in die Konzentrationslager zwang, ging er auch diese Gratwanderung zwischen Verantwortung und Verstrickung mit. Das Exil, das er vielen ermöglichte, war für ihn selbst keine Option. »Solange in Deutschland auch nur noch ein einziger Jude lebt, gehöre ich hinüber und werde das Land nicht verlassen«, sagte er kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bei einem Besuch seiner Tochter in London.
Bei seinem Einsatz für die jüdischen Landsleute und insbesondere für jüdische Kinder arbeitete Baeck intensiv mit Gertrud Luckner, Mitarbeiterin der Caritas-Zentrale in Freiburg, zusammen. Er hatte zudem intensiven Kontakt zu den Widerstandskreisen um Carl Goerdeler. Doch die Zeit im KZ Theresienstadt veränderte ihn Unmittelbar nach Kriegsende schloss er aus, dass es jemals wieder in Deutschland jüdisches Leben geben könne: »So viel Mord, Raub und Plünderung, so viel Blut und Tränen und Gräber können nicht mehr ausgelöscht werden.« Baeck zog zu seiner Tochter nach London, nahm eine Gastprofessur in Ohio an.
Trotz der Wunden, die keine Zeit heilen kann, reiste er 1948 und dann noch mehrmals wieder nach Deutschland. Vor 50 Jahren starb Leo Baeck am 2. November 1956 als deutscher Jude im britischen Exil. Aktuell erscheint von Walter Homolka und Elias Füllenbach im Gütersloher Verlagshaus »Leo Baeck - Eine Skizze seines Lebens«. Preis: 15,95 Euro.

Artikel vom 01.11.2006