31.10.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Demenz im hohen Alter ist normal«

WB-Gespräch mit Nicole Zantopp: Altenzentrum stellt sich auf neue Bewohnerstruktur ein

Steinhagen (WB). Demografischer Wandel und alternde Gesellschaft - im Altenzentrum Matthias-Claudius-Haus bekommen diese Schlagwörter viele Gesichter. Seit den 90-er Jahren hat sich der Altersdurchschnitt der Bewohner rasant nach oben entwickelt: von 77 auf 87 Jahre. Die Leiterin, Nicole Zantopp, schildert im Gespräch mit WB-Redakteurin Friederike Niemeyer die Auswirkungen.

Wer kommt heute zu Ihnen ins Matthias-Claudius-Haus?
Der Trend geht in Richtung Eigenpflege der Angehörigen. So kommen die Menschen zu uns, mit denen es zu Hause wirklich nicht mehr geht. Das sind vor allem Schwerst-Pflegebedürftige und Demenzkranke. Dazu haben wir jetzt regelmäßig sechs bis sieben Kurzzeit-Pflegen, wo wir früher nur Einzelfälle hatten. Ebenfalls neu: ältere Patienten, die nach dem Krankenhaus bei uns aufgepäppelt werden. Der Kostendruck von allen Seiten steigt eben.

Wie wirkt sich das auf Leben und Arbeit im Haus aus?
Die Fluktuation nimmt zu. In diesem Jahr hatten wir bislang 90 Auszüge und Sterbefälle, doppelt soviel wie in früheren Jahren. Das ist für die Bewohner schwieriger und auch für die Pfleger. Wir haben noch Menschen hier, die vor zehn, 15 Jahren aus eigenem Antrieb eingezogen sind, als sie noch fit waren. Die werden nun weniger. Und schon wegen des Pflegegesetzes dürfen wir heute nur noch aufnehmen, wer als »heimpflegebedürftig« eingestuft ist.

Demenzerkrankungen nehmen zu. Wie gehen sie im Claudius-Haus damit um?
Ab einem bestimmten Alter sind Demenzerscheinungen normal. Das bedeutet für uns einen ganz anderen Umgang mit diesen Bewohnern, die einen enorm hohen Bewegungsdrang haben. Viele sind ständig auf der Suche, nach ihren Kindern, nach dem Friedhof. Wenn sie von Tür zu Tür gehen, bringt das auch Probleme mit sich, und manches stößt bei Angehörigen oder in der Nachbarschaft auf Unverständnis. Etwa wenn eine demente Bewohnerin unkontrolliert schreit oder Einige aus fremden Zimmern Sachen entwenden. Um die Privatsphäre anderer Bewohner zu schützen, haben wir deshalb an deren Türen schwer zu öffnende Drehknäufe angebracht.

Muss nicht der Betreuungsschlüssel erhöht werden?
Mehr Betreuungszeit ist über die Erhöhung der Pflegestufe zu erreichen. Doch wir haben auch 82 so genannte Selbstzahler im Hause. Da müssten dann die Angehörigen den höheren Kosten zustimmen. Ich sehe die Zukunft da nur in erhöhten Beiträgen zu der Pflegeversicherung. In Holland wird auch erheblich mehr für die Pflege bezahlt.

Wie wird das Altenzentrum in Zukunft aussehen ?
Wir arbeiten derzeit an einem Konzept zur spezialisierten Betreuung der Demenzkranken, die bald wohl 70 Prozent unserer Bewohner ausmachen werden. Zwei Wohnbereiche im Altenzentrum würden dann für sie reserviert, einer für die Schwerst-Pflegefälle. Um für diese Bettlägerigen mehr Lebensqualität zu schaffen, möchten wir je zwei Zimmer zusammen an kleine Tagesoasen anbinden. Dort sollen mittels Musik, Wasser, Düften und anderen Reizen die Sinne angeregt werden. Einen gemischten Wohnbereich für leichtere Pflegebedürftige werden wir als einziges Altenheim in Steinhagen natürlich beibehalten.

Sehen Sie sich in der Gemeinde in Konkurrenz zum Betreuten Wohnen oder zu ambulanten Diensten?
Das ist letztlich keine Konkurrenz. Altenheime werden nicht aussterben, weil es immer Menschen geben wird, die nur in Heimen versorgt werden können. Aber nach unseren Prognosen reicht das Heimplatzangebot in Steinhagen aus.

Eine letzte Frage: Wie können Sie sich persönlich Ihr Leben im Alter vorstellen?
Ich könnte mir gut vorstellen in einer Alten-WG in Stadtnähe zu wohnen, aber mit eigenem Zimmer.

Artikel vom 31.10.2006