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»Der Schein regiert die Welt«

Schillers »Der Parasit« überzeugt in aktueller Fassung

Steinhagen (el). Der tragische Kern in der Komödie um den »Parasit«: Korruption und Heuchelei sind in jeder Zeit gegenwärtig. Aus diesem Grund konnte Friedrich Schiller den Stoff von Louis-Benoît Picard im Jahr 1803 so virtuos bearbeiten. Und aus diesem Grund genossen auch am Samstag die Besucher in der Aula das Stück in seiner heutigen Fassung des Bochumer Schauspielhauses.

Komisch in seiner Ohnmacht wehrt sich der kleine Beamte La Roche gegen seine Entlassung. Die geht, da ist er sich sicher, auf den schleimigen Selicour zurück. Wie er ein Schreiberling, der es mit geschickten Winkelzügen und gekonnter Schmeichelei weit nach oben gebracht hat. Wie ein Ritter von der traurigen Gestalt klagte Dietmar Pröll als La Roche immer wieder vergeblich. Denn Beweise konnte er gegen den wandlerischen Wolfgang Grindemann als Selicour einfach nicht finden.
Der windet sich scheinbar aus allem heraus, dabei aber auch immer weiter hinein, in die Fallstricke seiner Intrigen. Die unschuldige Rechtschaffenheit seines Chefs, des Ministers Narbonne (Klaus Nierhoff) kommt ihm dabei genauso zu Hilfe, wie die biedere Gutgläubigkeit des Kollegen Firmin (Michael Schories). Auch die Damenwelt lässt sich in Gestalt der von Christa Dubbert mit Vamp-Charme versehenen Madame Belmont mit wenigen Komplimenten und Galanterien leicht um den Finger wickeln.
Doch die Tragik dieser Ausweglosigkeit war in der Inszenierung unter der Regie von Annette Raffalt nahezu verloren. Die Bedrohung des Rechtssystems durch den »Parasiten« Selicour ist von Anfang an durch dessen parodistisches Rollengehabe abgeschwächt, so beeindruckend es auch gespielt sein mochte. Und so blieb der politische Hintergrund, der im Bühnenbild zum Ausdruck kam, das stark an das neu errichtete Regierungszentrum Berlin erinnerte, letztlich hinter den Möglichkeiten zurück.
Selbst die Liebesgeschichte, die in Schillers Version mit eine treibende Kraft ist, um die Intrigen aufzudecken, verliert sich in Schwärmerei, wobei das Happy End natürlich nicht fehlt. Mit seinen eigenen Mitteln geschlagen, entlarvt sich Selicour am Ende selbst. La Roche, und selbst der so hochmoralische und mit standhafter Anständigkeit gespielte Minister Narbonne, werden dazu selbst zu Intriganten. Fast scheint es, als käme man ohne Ränkespiel nicht aus. Doch Schiller, dessen alte Sprache sich harmonisch mit der Modernität vermischte, setzt einen eindeutigen Schluss: »Der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.« Ein Schluss, der die Besucher bei all den Lachern durchaus nachdenklich machen sollte.

Artikel vom 30.10.2006