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Mit hohen Handykosten in die roten Zahlen

WB-Serie »Menschen in der Diakonie«: Klienten der Schuldnerberatung immer jünger

Altkreis Halle (pes). Sie wissen keinen Ausweg mehr, haben einen Berg von Schulden angehäuft, ihr Lohn wird gepfändet, sie können ihre Wohnung nicht mehr bezahlen: Es ist oft schon fast zu spät, wenn die Menschen in finanzieller Notlage endlich fachmännischen Rat suchen.

Den finden sie bei Schuldnerberater Artur Gerber. Ihn stellt das WESTFALEN-BLATT heute im Rahmen der Serie »Menschen in der Diakonie« vor. Ein Mensch, dem durch die Flut von Anfragen die Arbeit über den Kopf zu wachsen droht. Gerber und Susanne Buchner als zweite Beraterin sowie Annette Birkmann als Sekretärin verzeichneten im vergangenen Jahr 423 Beratungen, davon 251 neue Fälle. In diesem Jahr ging es so weiter - die Wartezeit beträgt deshalb schon drei bis fünf Monate. Im vergangenen August standen 100 Ratsuchende auf der Warteliste.
Für viele ist die Privatinsolvenz der letzte Ausweg. Von den 174 neuen Fällen in diesem Jahr steuern 107 in diese Richtung. Und der Schuldenberg ist bei diesen Menschen gewaltig: im Schnitt 46 000 Euro. Wer noch außergerichtlich einen Weg aus der Finanzkrise sucht, also die restlichen 67 Fälle, hat im Durchschnitt 19 000 Euro Schulden.
Bedenklich findet es Artur Gerber, Betriebswirtschaftler und Diplom-Pädagoge, dass die Ratsuchenden immer jünger werden. Grund: »Viele telefonieren mit ihrem Handy, als wäre es ein Festnetzanschluss«, weiß Gerber aus Erfahrung. »Wir empfehlen für Jugendliche auf jeden Fall eine so genannte Prepaid-Karte.«
Erste Schulden schon aus dem Handyvertrag, das erste Auto, Möbel für den eben gegründeten Hausstand, DVD-Player und Plasma-Fernseher, Internet-Anschluss - die Karrieren vieler Ratssuchender bei Artur Gerber sind ähnlich. Auslöser ist oft Arbeitslosigkeit, Trennungssituationen, gescheiterte »Ich-AGs« oder Selbständigkeiten. Weil die Betroffenen ihre Probleme aber (zu) lange zu Hause austragen, nehmen sie immer neue Kredite auf, geraten im schlimmsten Fall auch noch an üble Geschäftemacher mit horrenden Zinsen und Gebühren. Erst wenn gar nichts mehr geht, führt der Weg zur Schuldnerberatung.
Erfolgserlebnisse für Artur Gerber aber sind Fälle wie der der 25-jährigen Birte K. (Name geändert): Sie war mit 11 000 Euro verschuldet, davon 75 Prozent bei einem Hauptgläubiger: In Verhandlungen hat Artur Gerber erreicht, dass die junge Frau in monatlichen Raten von 75 Euro insgesamt 3600 Euro zurückzahlt. Dafür muss sie jeden Cent zweimal umdrehen, aufs Auto verzichten. Aber sie zieht das durch«, freut sich Gerber mit seiner willensstarken Mandantin.

Artikel vom 27.10.2006