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Schon sechs platte Reifen -
Messerstecher erneut aktiv

Senner Michael Grahl ist zum zweiten Mal das Opfer

Von Stefanie Westing
(Text und Foto)
Senne (WB). Fassungslos starrt Michael Grahl auf seinen Mercedes. An dem Auto älteren Baujahrs sind zwei der vier Reifen platt - zerstochen. Der 49 Jahre alte Senner, der bei einem Unfall beide Beine verlor, kommt sich vor wie in einem schlechten Film. Denn diese Situation hat er vor knapp zehn Tagen schon einmal erlebt.

Damals waren vor seinem Wohnhaus am Senner Markt 1 die Autos dreier Behinderter beschädigt worden, dieses Mal erwischte es »nur« ihn. »Vielleicht hat es jemand auf mich abgesehen«, sagt er. Gestern Morgen gegen 7.15 Uhr hatte Nachbar Peter Tolksdorf (55) seinen Hund ausgeführt und dabei die platten Reifen entdeckt. »Ich weiß nicht, wer so etwas tut«, empört sich Grahl. »Vielleicht hat jemand Frust auf Behinderte.«
Gegen 18 Uhr am Montagabend hatte der 49-Jährige seinen Wagen auf dem Behindertenparkplatz direkt vor der Haustür abgestellt. »Seit dem Vorfall vor zehn Tagen stellen die anderen Betroffenen ihre Autos auf anderen Parkplätzen weiter weg ab. Das ist bei mir aber nicht so einfach«, schildert Grahl das Problem. Denn aufgrund seiner Behinderung sitzt er entweder im Rollstuhl oder läuft mit Prothesen an Krücken, wobei ihm das Gehen aber recht schwer fällt.
Das andere Problem, das Grahl zu schaffen macht, ist finanzieller Art. Nach dem Vorfall vor zehn Tagen hat er an seinem Wagen die Winterreifen aufziehen lassen. Gestern musste zunächst der Abschleppwagen anrücken, außerdem müssen neue Reifen her. »Ich kann doch nicht ständig neue Reifen kaufen. Wie soll ich das denn bezahlen?« Die Versicherung springt nicht ein, so viel weiß er.
Seit zweieinhalb Jahren wohnt Grahl am Senner Markt 1. Bislang ist nie etwas passiert. In jüngster Zeit seien in Senne aber häufiger solche Fälle aufgetreten, hat der 49-Jährige gehört. Dies bestätigte auf Anfrage auch Polizeisprecher Martin Schultz. Allerdings könne kein Tatzusammenhang hergestellt werden, sagte Schultz. »Aufgrund der Örtlichkeiten gehen wir davon aus, dass es sich nicht um die selben Täter handelt, und auch die Vorgehensweise ist unterschiedlich.« Die Polizei hält einen behindertenfeindlichen Hintergrund ebenfalls für unwahrscheinlich. Grahls Nachbar Peter Tolksdorf, der selbst einen Rollwagen benutzen muss, sieht das anders: »Warum sind dann immer nur Autos betroffen, die auf Behindertenparkplätzen stehen? Das geht gegen Behinderte, und ich weiß nicht, was das soll.«
Die Polizei indes ermittelt - wie immer - in alle Richtungen, auch im privaten Umfeld des Senners. »Das Problem ist, dass wir ohne Zeugenhinweise nicht weiterkommen«, schildert Schultz. Denn um nachts vermehrt im Bielefelder Süden Streife zu fahren, fehlt das Personal. Außerdem sei das Gebiet auch viel zu groß, um ständige Präsenz zu zeigen. »Für die Betroffenen ist das natürlich eine ganz schwierige Situation«, kann Schultz sich durchaus in die Lage Grahls hineinversetzen. Der Polizeisprecher rät den Betroffenen, eine Alarmanlage einbauen zu lassen, die bereits bei kleinsten Erschütterungen des Autos losgeht. »Oder man muss einen Hund im Auto schlafen lassen, das schreckt ab.« Die Ideallösung, sagt Schultz, sei das aber natürlich auch nicht.
Michael Grahl und Peter Tolksdorf wollen sich auf diese Tipps nicht einlassen. Grahl will in Zukunft sein Auto woanders parken - auch wenn ihm das Laufen schwer fällt. Und Tolksdorf nimmt die Sache selbst in die Hand: Er will sich auf die Lauer legen und selbst zum Augenzeugen werden.

Artikel vom 25.10.2006