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Bedürftigkeit
nimmt zu

»Unterschicht«-Debatte

Von Friederike Niemeyer
Steinhagen (WB). »Unterschichten-Problem« und »neue Armut« sind die Stichwörter einer in Berlin angestoßenen Debatte. Wie sieht es in Steinhagen aus?

»Unterschicht, ein schreckliches Wort«, meint Ingrid Wiese von der Gütersloher Tafel in Amshausen. Gleichwohl sieht sie ein Problem zunehmender Bedürftigkeit in der Gemeinde. Allein 21 Haushalte nehmen die Unterstützung der Tafel mit Lebensmitteln in Amshausen an, darunter 20 Kinder, Aussiedler mit niedriger Rente und Asylsuchende. »Und Alleinerziehende. Mit kleinen Kindern haben sie kaum die Möglichkeit zu arbeiten«, sagt Ingrid Wiese. Gleichwohl suchten viele neue Wege, ließen sich umschulen.
Setzte man früher häufig Sozialhilfe mit Bedürftigkeit gleich, so ist dies heute Hartz IV. 620 Bedarfsgemeinschaften für Arbeitslosengeld II gibt es in Steinhagen, dazu kommen etwa 80 Fälle von Grundsicherung (also Menschen mit sehr niedriger Rente und dauerhaft Arbeitsunfähige) sowie fünf Fälle von Sozialhilfe (meist Kinder, die bei Großeltern leben).
Angelika Fritsch-Tumbusch, Leiterin des Steinhagener Familienzentrums, spricht lieber von sozial benachteiligten Familien. Aus ihrer Arbeit weiß sie, dass die Angst »abzurutschen« zunimmt, dass sich das Gefühl verstärke, jeder könne durch Arbeitslosigkeit, Unfall oder Krankheit in eine finanziell und auch sozial brenzlige Lage geraten. Hintergrund für soziale Benachteiligung kann auch ein nur sehr gering bezahlter Job sein, ein schwieriges soziales Umfeld, Sprach- und Bildungsprobleme aufgrund von Migration oder auch Krisen durch Krankheit und Tod. Es gibt auch Menschen, die schon über Generationen in Sozialhilfe-Strukturen leben oder durch Konkurs überschuldet sind. »Aber Unterschicht ist das falsche Wort, weil es zu schubladenhaft ist und nicht vermittelt, dass es auch Wege aus der Krise gibt.«

Artikel vom 18.10.2006