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Bruno Salvador bleibt
der letzte Moralist

John le Carré lässt mit 75 eine neue Melodie erklingen

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). John le Carré, der Großmeister des Spionagethrillers, kann es nicht lassen. »Geheime Melodie« heißt sein 20. Roman, den er zu seinem 75. Geburtstag, der er heute feiert, nach zwei Jahren Präzisionsarbeit brillieren und klingen lässt.
Titel des neuen Buches »Geheime Melodie«.

Nicht ins Russlandhaus noch nach Bielefeld und Kenia (Schauplätze für »Der ewige Gärtner«), sondern nach Kivu im Ostkongo führte ihn diesmal die Recherche. Das Ergebnis ist fesselnd geschrieben und raffiniert komponiert. Der Plot ist dagegen streckenweise zu einfach gestrickt. Vieles erfüllt platte westliche Vorurteile über korrupte Afrikaner und spätkoloniale Kartelle. Ob der jüngste Donna Leon (»Blutige Steine«) oder Henning Mankell (»Kennedys Hirn«) - kein moderner Krimi-Autor scheint derzeit ohne die Versatzstücke Blutdiamanten und/oder Profit aus zweifelhafter Aids-Forschung auszukommen.
Hohes Lob: Der Literaturnobelpreis sei schon für weniger vergeben worden als le Carrés »Geheime Melodie«, schrieb der Spiegel dieser Tage und fügte hinzu »auch an deutsche Autoren«. Stimmt. Die Entwicklung allein der Hauptfigur Bruno Salvador, Sohn eines britischen Missionars und einer schwarzen Schönheit, empfiehlt den ehemaligen Geheimagenten le Carré für Stockholm - wäre da nicht die Tatsache, dass Schlapphut-Storys auf dem Olymp der Poeten nicht geduldet sind.
Bruno Salvador ist das Zebra. Als »Kind, das es nicht gibt«, wird er in den Missionen am Kivu-See, zwischen Kongo und Ruanda groß. Niemand bemerkt ihn. Er aber fängt sie alle auf - die Dialekte und Sprachen aus dem Völker- und Stammesgemisch im Schmelztiegel Ostafrikas. Das hochbegabte Kind nutzt die Fähigkeiten der frühen Kindheit, Idiome und Dialekte aufzusaugen wie die allbekannte Muttermilch.
Als erfahrener Simultandolmetscher für ein halbes Dutzend seltenster Sprachen landet er später in der Abhörzentrale des britischen Geheimdienstes (»Chatroom«) und dann im Zentrum einer Geheimkonferenz, wo die Kartelle, kongolesische Hoffnungsträger, Warlords und ehrenwerte Gauner alle Bodenschätze unter sich aufteilen wollen.
Der stille Diener der Krone wächst über sich hinaus und will, gefordert von Aufrichtigkeit und einem kivu-patriotischen Superweib, den geplanten Putsch vereiteln. Manche Charaktere am Verhandlungstisch häuten sich in verblüffender Abfolge. Die Wanzen verfolgen die Verschwörer sogar noch bis aufs stille Örtchen.
Dröges Konferenzgeschehen mit Hochspannung laden, das kann nur so ein Meister wie le Carré. Da wird gefaselt und gefoltert, geliebt und geläutert, verraten und verkauft. Allerdings: Briten und (über allem schwebend) Amerikaner sind die stets gleich hässlichen und sattsam bekannten Strippenzieher.
Bruno Salvador, der neue George Smiley, bleibt der letzte Moralist und sein Schöpfer der alte Mann des kalten Krieges. Der Leitstern des Spionage-Genres findet selbst in der kommunistenfreien Welt keinen Ruhestand.
John le Carré, Geheime Melodie, 416 Seiten, List-Verlag, 22 Euro.

Artikel vom 19.10.2006