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Problematische Fälle oft bekannt

Experten: Vielzahl von Misshandlungen erfordert einen Kindergipfel

Zwickau/Hildeseim/Leipzig(dpa). Mehmet starb an Hirnblutungen, Kevin lag tot im Kühlschrank, Nico erlitt lebensgefährliche Kopfverletzungen.

Die Deutsche Kinderhilfe hat gestern in Berlin die Misshandlung von Mädchen und Jungen als »nationale Katastrophe« bezeichnet und einen »Kindergipfel« mit Bund, Ländern und Kommunen gefordert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte mit Blick auf eine Vielzahl bekannt gewordener Fälle misshandelter oder verwahrloster Kinder indes mehr gesellschaftliche Verantwortung an. »Wenn sich alle in der Gesellschaft besser verantwortlich fühlen, werden auch viele schreckliche Dinge nicht mehr passieren«, sagte Merkel in Berlin während der Debatte über eine wachsende Unterschicht in Deutschland.
Nach dem Tod des zweijährigen Kevin in Bremen und der sieben Wochen alten Leonie aus Sangerhausen in Sachsen-Anhalt war am Sonntag - wie berichtet - ein weiterer schwerer Fall von Kindesmisshandlung mit Todesfolge bekannt geworden. In Zwickau in Sachsen starb der vier Jahre alte Mehmet an massiven Hirnblutungen. Der Junge soll vom 45 Jahre alten Lebensgefährten seiner Mutter misshandelt worden sein. Es gebe ein Teilgeständnis des Paares, sagte Staatsanwalt Frank Hoffmann. Mehmet war am vergangenen Freitag nach einem angeblichen Treppensturz in eine Klinik gebracht worden und dort gestorben. Er war nach Angaben der Staatsanwaltschaft auch »ausgeprägt mangelhaft« ernährt.
Zwickaus Sozialbürgermeisterin Pia Findeis (SPD) räumte ein, dass sich das Jugendamt von 2002 bis 2005 mit der Familie beschäftigt habe. Allerdings hätten die Verantwortlichen im Mai 2005 eine positive Prognose gestellt.
Im Fall des vor einer Woche in Bremen im Kühlschrank seines drogensüchtigen Vaters gefundenen Kevin wird die genaue Todesursache nach Angaben der Staatsanwalt ebenso noch ermittelt wie im Fall Leonie. Das sieben Wochen alte Baby war am vergangenen Freitag in Sangerhausen in Sachsen-Anhalt tot in der Wohnung seiner alkoholkranken Mutter gefunden worden.
Besonders gefährdet sind einem Leipziger Forschungsprojekt zufolge ein bis vier Jahre alte Kinder. »Zum Tod kommt es meist durch wiederholte Gewalt am Kopf, durch Tritte in den Bauch, oder das Kind verhungert«, sagte die Leipziger Rechtsmedizinerin Ulrike Böhm. »Auffällig ist, dass dem Jugendamt die problematischen Fälle häufig schon im Vorfeld bekannt waren. Oft sind die Eltern noch jung, oder es gibt einen neuen Partner.«

Artikel vom 17.10.2006