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Rätselraten: Was hat sich in
Nordkorea wirklich ereignet?

Atomtest oder nichtnukleare Explosion - China im diplomatischen Dilemma

Peking/Pjöngjang (dpa/Reuters). China steckt in einem diplomatischen Dilemma. Der wichtigste Verbündete Nordkoreas, steht nach dem dem Atomtest im Nachbarland zwischen den Fronten.

»Das größte Problem wird sein, wie wir gegenüber den westlichen Staaten im UN-Sicherheitsrat auftreten«, sagte der Experte für internationale Sicherheitsfragen von der Universität in Peking, Shi Yihong, gestern. Egal wie sich China verhalte, die Entscheidung würde entweder zu Lasten seiner Beziehung zu Nordkorea oder zu Lasten des Verhältnisses zu den USA gehen.
Sollte sich Peking im Sicherheitsrat Sanktionen gegen Pjöngjang widersetzen, könnte dies die chinesisch-amerikanischen Beziehungen dauerhaft beschädigen. Würde die Volksrepublik drastischen Sanktionen zustimmen, befürchten viele in Peking, dass Nordkorea wirtschaftlich noch weiter geschwächt werden würde. In der Folge könnte es zu einer gefährlichen Instabilität im südlichen Nachbarland kommen.
Unter anderem fürchtet Peking eine Flut von Flüchtlingen über die 1300 Kilometer lange Grenze nach China. Deshalb beschwor die chinesische Regierung das Nachbarland, in die Runde der Sechs-Länder-Gespräche zurückzukehren. Die Verhandlungen zwischen Süd- und Nordkorea, den USA, China, Russland und Japan über ein Ende des nordkoreanischen Atomprogramms liegen seit November vorigen Jahres auf Eis.
Und an alle Seiten appellierte Chinas Präsident Hu Jintao schon unmittelbar nach der Bekanntgabe des Tests, »Ruhe zu bewahren«. China wolle nach wie vor mit Hilfe von Gesprächen zu einer friedlichen Lösung kommen.
Außer Russland hat bislang niemand die Angaben Nordkoreas bestätigt, wonach das kommunistische Land einen unterirdischen Atomwaffentes unternommen hat. Anlagen zur Erfassung von Erdbeben haben Erschütterungen gemessen, die zu einem kleinen Test passen würden. Aber auch am Tag danach ist nicht klar: Was ist wirklich in dem Berg an der chinesischen Grenze passiert? Wissenschaftler und Regierungen versuchen herauszufinden, ob ein kleiner atomarer Sprengsatz explodiert, ob der Test einer viel größer angelegten Atombombe misslungen ist oder ob es sich möglicherweise sogar um eine konventionelle, nicht nukleare Explosion gehandelt hat.
Auch die Hinweise auf die Größe des atomaren Sprengsatzes - oder was immer zur Zündung gebracht wurde - sind nicht eindeutig und bedürfen noch einer gründlichen Auswertung.
Keine seismologische Messung kann belegen, dass ein Beben von einer Atomexplosion ausgelöst wurde. Auch wurde bislang nicht festgestellt, dass Radioaktivität ausgetreten ist.
Könnte Nordkorea also 500 bis 1000 Tonnen TNT gezündet haben, um eine Atomexplosion zu simulieren? Die Antwort ist: Ja. »Tatsächlich würde man mit einer Kilotonne TNT dieselbe Art von Explosion erzeugen wie mit einer Atombombe«, sagt Chan Lung Sang, ein Seismologe der Universität Hongkong. Ein solches Kunststück wäre jedoch gar nicht so einfach zu bewerkstelligen und der Nutzen bliebe fraglich.
»Allen Anzeichen nach scheint zu stimmen, was die Nordkoreaner gesagt haben, aber alle halten sich mit einer Stellungnahme zurück, so lange nicht mehr Daten ausgewertet sind«, sagt Robert Karniol von »Jane's Defence Weekly«, einem Magazin, das auf Waffentechnik spezialisiert ist. Viel schwieriger ist eine Antwort auf die Frage, ob Nordkorea einen kleinen Sprengsatz gezündet hat oder der Test einer viel größeren Bombe misslungen ist.
Nordkorea hat ein großes Interesse daran, mit einer Atombombe zu drohen. Für die kommunistische Führung des Landes sei dabei eine Absicherung ihrer Herrschaft wichtiger als die Sicherheit von Land und Volk, sagt Kim Sung Han vom südkoreanischen Institut für Außenpolitik. Ohne Massenvernichtungswaffen ist das Land zudem nur ein armer Staat zwischen den Wirtschaftsriesen Asiens. Mit einer Atombombe hofft Machthaber Kim Jong Il darauf, mit den Militärmächten der Welt an einem Tisch Platz nehmen zu dürfen.
»Wir müssen aber davon ausgehen, dass sie darauf wetten, dass weder Peking noch Seoul sie hängen lassen - weil die Alternative viel schlimmer ist: ein instabiler und noch unberechenbarerer Norden«, sagt Peter Beck von der International Crisis Group. Die nordkoreanische Führung profitiere von der Eskalation.
»Die nächste Karte, die sie spielen wird, ist die Drohung mit einem Krieg.«

Artikel vom 11.10.2006