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Der Wechsel vom Staatstheater Mainz ans Stadttheater Bielefeld ging holterdipolter: Erst kurz vor den Sommerferien hatte Jón Philipp von Linden seine Bewerbung eingereicht, nachdem seine Vorgängerin Anke Hoffmann aus persönlichen Gründen Bielefeld verlassen hatte und die Stelle kurzfristig wiederzubesetzen war.
Die Frage, weshalb jemand von einem Staatstheater vergleichbarer Größe an ein Stadttheater wechselt, hat von Linden in letzter Zeit oft beantworten müssen: »Ein Intendantenwechsel gab den Ausschlag.« Nach gängiger Praxis setzt ein Neuer unter anderem dadurch Duftmarken, indem er die leitenden Positionen nach eigenem Gusto neu besetzt. Für Jón Philipp von Linden hieß das, nach fünf glücklichen Jahren Abschied zu nehmen.
Dennoch wirkt der 38-Jährige mit dem isländischen Vornamen (Jón) alles andere als unglücklich. »Das Haus hier hat einen wichtigeren Stellenwert, als seine Größe vermuten lässt. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr gut und ähnlich positiv wie in Mainz, wo mir Generalmusikdirektorin Chatherine Rückwardt eine teamfähige Chefin war«, versichert von Linden galant.
Auch wenn er nie zuvor am Teuto weilte, sei ihm Bielefeld doch stets als eine Stadt, von der wichtige Impulse für das Musiktheater ausgingen, ein Begriff gewesen. Zudem habe er mit Gottfried Pilz, dem Bühnenbildner der legendären Ära Dew, in Mainz mehrfach zusammengearbeitet. Keine Spur also von Wehmut, auch wenn Jón Philipp von Linden seine frisch Angetraute, die er am Staatstheater kennenlernte und die noch Theaterwissenschaften studiert, in Mainz zurücklassen musste.
Statt dessen strahlt von Linden Enthusiasmus und eine herzliche Offenheit aus. Sie wird ihm bei seiner Rolle als Mittler zwischen Theater und Publikum dienlich sein. Denn neben seiner Aufgabe, den Theaterleuten intern zuzuarbeiten und sie mit werkspezifischen sowie musikgeschichtlichen Informationen zu versorgen, liegt von Linden viel am direkten Kontakt zum Publikum. »Einführungen messe ich einen hohen Stellenwert bei, und die direkte Rückmeldung ist mir wichtig«, betont von Linden.
Mit vermehrten Informationsveranstaltungen und Rahmenprogrammen rund ums Musiktheater will er auch in Bielefeld Akzente setzen. Gute Erfahrungen in diesem Bereich hat er in Mainz speziell im Neuen Musiktheater sammeln können. »Aus jeder großen Produktion wurde ein Event gemacht«, erzählt Jón Philipp von Linden und ergänzt: »Man kann das Publikum gewinnen, wenn man es nicht total verunsichert und wenn Qualität gewährleistet ist.« Seine diesbezüglichen Erfahrungen möchte er in seine Arbeit einbringen, dabei aber nichts vorkauen, sondern einen Dialog mit dem Publikum führen.
An Gelegenheiten dazu wird es ihm nicht mangeln, denn der aktuelle Spielplan ist gespickt mit Werken, die es neu zu entdecken gilt. Angefangen bei der lyrischen Tragödie »Ödipus« von George Enescu über die komische Oper »Der Toreador« von Adolphe Adam bis hin zm »Sturm« von Zdenek Fibich. »Dieser Spielplan verrät sehr viel Mut, und wir sind gefordert zu vermitteln, dass man vor diesen Werken keine Angst zu haben braucht«, meint von Linden.
Auch das neu eingerichtete Opernstudio liegt ihm persönlich am Herzen. In Mainz gab es eine vergleichbare kleine Experimentierbühne, auf der sich Gesangs-studenten erproben konnten. Sie bot dem Nachwuchs ein Auftrittsforum und dem Publikum eine Reihe von ambitionierten Kammeropern, ohne den Theateretat großartig zu belasten. »Es wäre mein Wunsch, so etwas auch in Bielefeld einzuführen«, verrät von Linden. Noch sei aber nichts spruchreich. Nur soviel: Die Fühler sind ausgestreckt.

Artikel vom 07.10.2006