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Von Oliver Kreth

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Warum in die Ferne schweifen


Dem WM-Sommermärchen folgt der Bundesliga-Winterschlaf. Das nationale Niveau ist bescheiden, die Kicks sind selten berauschend, eher ernüchternd. Hatte Bundestrainer Jürgen Klinsmann also doch recht, als er das hohe Fußball-Haus pauschal kritisierte? Natürlich nicht.
Denn - misst man es nur am sportlichen Erfolg - die deutsche Nationalmannschaft hat unter Klinsmann einen Rückschritt gemacht: 2002 noch im großen Finale in Japan, wurde diesmal in Stuttgart nur ein »kleines« Fest gefeiert.
Zwar war die Art, mit der diese Platzierung erreicht wurde, angenehmer anzuschauen, aber am Resultat ändert das nichts. Und bitter ist noch der Nachgeschmack, dass der Schwabe, der den deutschen Fußball ja insgesamt wieder auf Weltniveau heben wollte, nach nur zwei Jahren die Flucht ergriffen hat. Was vielleicht darin liegen mag, dass die Wirkung und der Reiz von Jung-Manager-Floskeln und angeblich innovativen Trainingsmethoden »made in USA« schnell verfliegen.
Das Luftnummern-Paradebeispiel ist Mark Verstegen, der Fitness-»Guru«. Seine Gummitwist-Übungen wurden von Journalisten, die Liegestütze nicht mal von Stabilisationsübungen unterscheiden können, gefeiert. Und natürlich wollte während der WM niemand an der ach so goldigen Oberfläche kratzen, um zu zeigen, dass darunter nur normales Blech war.
Nun ist es Jürgen Klinsmann nicht vorzuwerfen, dass er Leute seines Vertrauens (EM-Kollegen von 1996, Kalifornien-Kumpels und Schwaben-Spezeln) um sich geschart hat, aber zumindest hätte er sich doch bei seinem Wunsch-DFB-Sportdirektor erkundigen können, was sich in Sachen Fitness so in Deutschland nach seinem Umzug getan hat.
Denn Bernhard Peters, dem es jetzt als erstem Coach gelungen ist, einen Hockey-WM-Titel zu verteidigen, setzt nicht auf schaumschlagende Sonnyboys aus den Staaten, sondern auf Bodenständiges aus Kreuzberg (bei Köln).
Benno Eicker, gläubiger Bauernsohn und 1987 deutscher Vizemeister mit der 4x200m-Staffel, ist schon länger - neben seinem Job als Begründer der Sprintschule des ASV Köln - verantwortlich für den körperlichen Zustand der nationalen Hockeyelite. Deuserbänder sind dem Diplomsportlehrer seit mehr als 20 Jahren vertraut. Und seine Kreativität, mit wechselnden Aufgabenstellungen auch den Spaß hochzuhalten, ist nicht nur bei den Peters-Spielern populär. Denn anders als Klinsmann hat sich Basketball-Bundestrainer Dirk Bauermann in Deutschland umgehört: Wer kann uns nach vorne bringen?
Und man glaubt es kaum: Ein Mann, der im angeblich so wegweisenden Körperbildungsland USA ein Superstar ist, lobt den Bescheidenen aus dem Bergischen Land. Dirk Nowitzki: »Benno hat vor der WM einen guten Job gemacht.«
Das soll kein Plädoyer für provinzielles Denken oder für ein »Trainiert nur bei Deutschen« sein, sondern ein Appell an eigene Stärke und Wissen, für weniger Schaum und mehr Substanz. Denn nur so - und wenn man mehr als zwei Jahre investiert und nicht unbedingt drei Millionen kassiert, lässt sich verhindern, dass einem kollektiven Rausch auch der entsprechende Kater folgt.

Artikel vom 30.09.2006