20.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Die größte Schwachstelle bei der CDU war und ist die Profillosigkeit.«

Leitartikel
Union ist Hauptverlierer

Ein Sieg
für
Kurt Beck


Von Jürgen Liminski
Die Warnung gab es vorher schon: Die wirtschaftlich geprägte Kampagne der Berliner CDU gegen den SPD-Partybürgermeister Klaus Wowereit setze genau an der falschen Stelle an. Denn alleine mit Partys, Tourismus, Vergnügung, Theater oder Unterhaltung mache Berlin mehr als ein Drittel des Umsatzes. Mit 100 000 Sozialversicherten sei dieser Sektor inzwischen so groß wie die kümmerlichen Reste der Berliner Industrie. Und dort geht das Firmensterben weiter. Wer genauer hinschaute, konnte nicht nur diese Schwachstelle im CDU-Wahlkampf entdecken.
Wowereit hat übrigens Stimmen verloren und nur prozentual hinzugewonnen, weil die Wahlbeteiligung so erschreckend niedrig war. Größte Schwachstelle bei der CDU war und ist die Profillosigkeit. Sie zog niemanden an, so dass die Party-Industrie ihren König ungehindert wieder auf den Schild heben konnte.
In Mecklenburg-Vorpommern herrscht keine permanente Partystimmung. Dort ist Katzenjammer angesagt, schon weil die Neonazis den Einzug in das Landesparlament geschafft haben. Aber auch die FDP hat kräftig zugelegt.
Aufgrund der faktischen Lage könnte demnächst in Schwerin wohl eine Große Koalition regieren. Das würde die Schwäche der CDU nur übertünchen. In Berlin könnten die Grünen die Linkspartei als Juniorpartner der SPD ablösen. Das wiederum käme sehr den Wünschen des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck entgegen, der im Bund nur eine Mehrheit Mitte-Links für möglich hält und deshalb sich auch der FDP annähert.
Mit der Profilschwäche der CDU fällt ihm das Grasen im bürgerlichen Lager leicht. Sollte die große Koalition scheitern, etwa an der Gesundheitsreform, wird die FDP der erste Partner der SPD sein und die Grünen würden dazustoßen. Dafür geht ganz ohne Neuwahlen.
Es rächt sich jetzt, dass die CDU zur Partei wert-loser Beliebigkeit wird. Der Preis der Harmonie in der großen Koalition wird an den Kassen der Moderne, den Wahlurnen schon entrichtet.
Das Argument, dies sei das Schicksal von Volksparteien, klingt angesichts einer Schwankung um die 30-Prozent-Marke befremdlich. Das war früher mal Stammwählerschaft.
Die Stammwähler aber finden sich nicht mehr im Allerweltsprogramm wieder, sie suchen ihre Identifikation entweder woanders oder enthalten sich. Deshalb ist auch die große Enthaltung bei diesen Wahlen die eigentliche Schlüsselzahl.
Nur mit klaren Aussagen zu bestimmten Lebensformen, etwa zu Ehe und Familie oder auch zum Vaterland (nicht zum Nationalismus), wird man diese Stammwähler wieder aus der Fruststarre lösen und neu gewinnen.
Aber in der CDU ergeht man sich lieber in oberflächlichen Koalitionsspielen - und verspielt die Zukunft der Partei. Die SPD dagegen wird zur Beck-Partei der Mitte. Er ist der Sieger, Party-Bürgermeister Wowereit wird außerhalb Berlins keine Rolle spielen.

Artikel vom 20.09.2006