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Höchststrafe von zehn
Jahren ist nun möglich

Messerstecher-Prozess: Gedächtnislücke wirft Fragen auf

Bielefeld (uko). Der Messerstecher vom Brackweder Stadtring wird mit einer milderen Haftstrafe vor dem Bielefelder Landgericht rechnen können. Das hat am Montag die 3. Strafkammer deutlich gemacht, vor der der Revisionsprozess gegen den 37-jährigen Ercüment Ca. verhandelt wird.

Der Busfahrer aus Heiligenhaus (Kreis Mettmann) war am 30. Dezember 2004 nach Bielefeld gekommen, hatte mit 32 Messerstichen den Ehemann der Cousine seiner Ehefrau getötet. Das Schwurgericht des Landgerichts hatte Ca. zu elf Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Nach der Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof (BGH) steht dieses Strafmaß auf der Kippe. Die Bundesrichter sahen einen minder schweren Fall des Totschlags (Höchststrafe zehn Jahre Haft) vom Schwurgericht als nicht genügend gewürdigt an.
Eben diese Problematik steht im Vordergrund der Neuverhandlung, in der Ercüment Ca. wiederum eine Notwehrsituation für sich reklamiert. Der Münsteraner Pathologe Professor Dr. Gerhard Fechner bekräftigte gestern erneut, die Vielzahl der 32 Stiche sei gegen Hals und Herzgegend des Opfers geführt worden. Einige der Messerstiche waren dem 24-jährigen Opfer durch den ganzen Körper gedrungen, die Waffe war sogar aus dem Rücken ausgetreten, sagte der Rechtsmediziner.
Dem Bielefelder Gutachter Dr. Martin Reker kam zum zweiten Mal die Aufgabe zu, sachverständig die Frage einer »tiefgreifenden Bewusstseinsstörung« beim Täter zu klären. Ercüment Ca. will die Erinnerung an die Bluttat nach dem ersten Messerstich verloren haben und mit dem Auto nach Heiligenhaus gefahren sein. An die Fahrt könne er sich ebenso wenig besinnen wie an die Entsorgung des Messers (die Waffe tauchte nie wieder auf).
Reker hielt diese Aussagen zumindest für merkwürdig: »Das Nachtatverhalten wirft Fragen auf.« Auch Martin Reker hielt die Tat für ein »affektbesetztes Geschehen«, einer »Affekttat im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung« indes mochte der Gutachter nicht zustimmen. Dafür fehlten ihm genügend eindeutige Merkmale.
Kammervorsitzender Reinhard Kollmeyer gab dennoch die ungefähre Marschroute zu einer Urteilsfindung vor: Da der Bundesgerichtshof recht deutlich einen minder schweren Fall des Totschlags erwogen habe, könne ein nicht auszuschließender Affekt nicht zwingend zu einer weiteren Milderung des Strafrahmens führen. Die Strafe müsse demnach am oberen Ende des Strafrahmens angesiedelt sein, der bis zu zehn Jahren reiche.

Artikel vom 19.09.2006