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Splitter schmerzen noch heute

Vor einem Jahr: Drei Tote und 56 Verletze bei Explosion in Höxter

Von Ingo Schmitz
Höxter (WB). Ein unfassbares Ereignis erschütterte heute vor einem Jahr die Stadt Höxter. Mitten in der historischen Altstadt jagte der Rentner Günther Hartmann (64) um kurz nach 9 Uhr ein Wohn- und Geschäftshaus in die Luft. Die Schreckensbilanz: drei Tote, 56 Verletzte und sieben Millionen Euro Schaden. Heute findet eine Gedenkfeier statt.
Aline Muff (links) und Mariana Galati wurden schwer verletzt.

Während die meisten Schäden an den Gebäuden behoben sind, kämpfen die unschuldigen Opfer dieser Wahnsinnstat noch immer mit den Folgen. Viele sind traumatisiert. Bei den beiden Schülerinnen Mariana Galati und Aline Muff kommen die körperlichen Wunden noch hinzu. Die beiden 17 Jahre alten Mädchen wurden schwer verletzt, wie ein Wunder überlebten sie. Aber: In ihren Körpern tragen die beiden jungen Frauen noch immer viele Glassplitter, die die Ärzte noch nicht haben beseitigen können.
Bei der ersten Operation entfernten die Mediziner nicht weniger als jeweils 1,5 Kilogramm Scherben. Noch immer sitzt ein Splitter in Alines Kniekehle direkt neben einer Arterie, eine andere direkt neben der Wirbelsäule. Das Problem: Manche der Splitter wandern und erinnern die Schülerinnen immer wieder schmerzhaft an den Tag, an dem die Katastrophe geschah. Seither haben sie die meiste Zeit der Schulferien in Krankenhäusern verbracht. Und: Die nächsten Operationen sind absehbar. »Der Gedanke, dass die Splitter wandern, erfüllt einen mit steter Sorge«, stellt Vater Bernhard Muff fest. Er kann nicht verstehen, dass ein Mensch zu einer solchen Tat fähig ist.
Günther Hartmann galt als Einzelgänger und Sonderling. Mit seinem in Königstein (Hessen) lebenden Bruder Wilfried verkehrte er nur über den Rechtsanwalt. Ständiges Streitthema: das gemeinsame Haus in Höxter. Der Jahrzehnte andauernde Erbstreit sollte vom Oberlandesgericht Hamm entschieden werden. Doch der Rentner kam dem Richterspruch zuvor: Er deponierte 900 Liter Brandbeschleuniger in seinem Haus, öffnete im Keller die Gasverschraubungen und sprengte sich samt Gebäude in die Luft. Das Ausmaß der Katastrophe war verheerend: Zwei Passanten (79 und 81 Jahre alt) wurden getötet. Viele Menschen wurden durch die umherfliegenden Glassplitter verletzt. 70 Häuser wurden beschädigt. Besonders schlimm traf es ein Nachbarhaus aus der Gründerzeit, das historische Rathaus der Stadt sowie die Kilianikirche. In den meisten Fällen zahlten die Versicherungen der Gebäudeeigentümer anstandslos. Doch die Lücke, auf dem ehemals das Hartmann-Haus stand, ist noch immer vorhanden. Die Stadt plant einen Architektenwettbewerb.

Artikel vom 19.09.2006