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Ein Signal gegen braune Einfalt

5000 demokratische Demonstranten gewährten 150 Neonazis keinen Raum

Von Matthias Meyer zur Heyde und Uwe Koch (Text), Hans-Werner Büscher und Carsten Borgmeier (Fotos)
Bielefeld (WB). Mit einer beeindruckenden Demonstration freiheitlichen Bürgersinns hat Bielefeld am Samstag rechtsextremistischen Agitatoren den Wind aus den Segeln genommen: 5000 aufrechte Demokraten zogen zur zentralen Kundgebung am Jahnplatz. Die zum Marsch durch die Stadt angetretenen 150 Neonazis kamen aus dem Neuen Bahnhofsviertel nicht heraus; sie reisten unverrichteter Dinge wieder ab.

In einer mehrfach von Applaus unterbrochenen Ansprache geißelte Eberhard David bei der Kundgebung auf dem Jahnplatz jedwede Form von Intoleranz und menschenverachtender Ideologie. »Keinen Millimeter Raum für Hassparolen«, rief der Oberbürgermeister, der alle rechtsstaatlichen Mittel gegen die rechten Gruppierungen aus Niedersachsen und dem Ruhrgebiet ausgeschöpft wissen wollte. »Ich danke allen Bielefeldern, das sie ein Zeichen gegen diesen Ýimportierten ExtremismusÜ setzen.«
Im Namen des Theaterensembles würdigte Chefdramaturg Uwe Bautz das bürgerschaftliche Signal für eine pluralistische Gesellschaft. »Wir im Theater, in dem Menschen aus 22 Nationen arbeiten, schöpfen aus diesem kulturellen Reichtum und wenden uns gegen die unerträgliche Einfalt rechtsextremer Agitation.«
Für den Deutschen Gewerkschaftsbund, der - neben den Kirchen und der Kommune sowie etwa 120 Institutionen und Vereinen - die Demonstration veranstaltete, sprach Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Sie mahnte die Politiker jeder Couleur, die Gesellschaft so zu gestalten, dass der Intoleranz der Boden entzogen werde. Superintendentin Regine Burg verwies auf Martin Luther Kings Vorstellung von einem humanen Miteinander (»I have a dream«). »Dem Wirken der Demagogen Einhalt zu gebieten, ist Bürger- und Christenpflicht zugleich.«
Der Zug der Demonstranten hatte sich gegen 10.15 Uhr am Landgericht unter dem Motto »Wir halten dagegen« in Bewegung gesetzt. Ganze Familien waren dabei, man sah auffallend viele junge Leute. Die Stimmung war friedlich. »Der Anlass für diese Gegendemonstration bedrückt mich, aber ich bin froh über das breite Bündnis, das sich hier formiert hat«, sagte, stellvertretend für viele, der Berufsschullehrer Benno Bachmann.
Ab 10 Uhr formierte sich auf der Joseph-Massolle-Straße der Zug der Neonazis aus dem Ruhrgebiet und dem Kreis Schaumburg. Die Polizei hatte fast 1000 Kräfte aus ganz Nordrhein-Westfalen rund um den Hauptbahnhof massiert und setzte Hubschrauber ein. Die Beamten überwachten sorgsam die Demonstrationsauflagen, die am Freitag in einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Minden bestätigt worden waren. So durften keine verbotenen NS-Symbole, Parolen oder Kleidungsstücke benutzt werden.
Klar umrissen war auch der Marschweg in die Innenstadt, der über die August-Bebel-Straße zur Arbeitsagentur führen sollte. Doch so weit kam es nicht: Nach nur 300 Metern wurde der Aufmarsch der Rechten auf der Nowgorodstraße in Höhe des Bundesbahn-Stellwerkes gestoppt. Eine Gruppe von 50 Autonomen hatte sich auf dem Kreisverkehr vor den Stadtwerken postiert; die Bahnunterführung zur Herforder Straße wiederum wurde von 500 Bürgern durch eine Sitzblockade versperrt.
Die Polizeiführung verhandelte zweieinhalb Stunden lang mit den Versammlungsleitern der Rechtsextremen und bot mehrfach Alternativstrecken durch die Stadt an, die allerdings abgelehnt wurden. Um 14.25 Uhr kündigten die Neonazis ihren Rückzug an. Etwa die Hälfte der rechten Gesinnungsgenossen fuhr mit einem Zug nach Minden, der Rest nach Gütersloh - in beiden Städten waren weitere Demonstrationen angemeldet.
Die Bürger, die die Unterführung an der Herforder Straße ab 11 Uhr blockierten, wurden von der Polizei mehrfach aufgefordert, sich zu entfernen, da sonst geräumt werden müsse. Sie blieben aber an ihrem Platz. Die Nachricht vom Rückzug der Neonazis nahmen sie mit Genugtuung auf.

Artikel vom 18.09.2006