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Thronfolgerin wird zur Königin
Vor 50 Jahren hielt die Renault »Dauphine« vor 20 000 geladenen Gästen in Paris erstmals Hof
Adel verpflichtet. Das gilt im richtigen Leben ebenso wie in der Welt der Automobile. So müssen denn auch hochkarätige Fachleute Hand anlegen und Geist mobilisieren, wenn eine »Thronfolgerin« für ihren Auftritt in der Öffentlichkeit vorbereitet wird.
50 Jahre ist es nun her, dass eben diese »Thronfolgerin« in Paris erstmals Hof hielt. 20 000 Gäste huldigten im Palais de Chaillot gleich neben dem Eiffelturm der Schönheit aus dem Hause Renault. Gegen jede höfische Etikette und jedes Protokoll verstoßend beließen es die geladenen Besucher aber nicht dabei, den adeligen Star mit einer schlichten Verbeugung oder einem Knicks zu begrüßen. Lauter Jubel und anhaltender Applaus brachen los, als die »Dauphine« (übersetzt eben »Thronfolgerin«) im Licht der Scheinwerfer erstrahlte.
Die Vorbereitungen für die große Gala 1956 begannen fünf Jahre zuvor. Im Juli 1951 gab Renault-Chef Pierre Lefaucheux seinen Entwicklern den Auftrag für das »Projekt 109«. Im Geheimen arbeiteten eine Vielzahl von »Lehrern« daran, dass die Anwärterin auf den Thron diese eher profane Bezeichnung ablegen konnte. Den Stundenplan der »technischen Hofmeister« hatte der Renault-Chef persönlich vorgegeben: vier Türen, vier Sitze, ein großer Kofferraum, niedrige Unterhalts- und Anschaffungskosten und möglichst viele gemeinsame Teile mit dem 4 CV. Dieses Auto nämlich war das Modell, das die »Dauphine« beerben sollte.
Im Fach Fahrleistungen indes waren die Anforderungen nicht hoch. Schließlich hatten Umfragen Anfang der 50er Jahre ergeben, dass 77 Prozent der Automobilisten mit einem Höchsttempo von 110 zufrieden waren.
Die ersten vorsichtigen Ausflüge in die »weite Welt« erfolgten schon im Juli 1952. Nachts ging es hinaus aus dem Entwicklungszentrum Rueil, hier wurde die »Thronfolgerin« auf das Leben im Blick der Öffentlichkeit vorbereitet, um Kilometer für Kilometer abzuspulen. Doch Fitness ist nicht alles im Leben einer angehenden Königin. Schönheit und Ausstrahlung sind mindestens ebenso gefragt.
Pierre Lefaucheux überlässt in dieser Hinsicht nichts dem Zufall. Nur das Beste ist gut genug für die »Dauphine«. Pietro Frau in Turin, der später als Schöpfer edler Maserati-Modelle zu Ruhm und Ehre kam, nahm sich des »Projekts 109« an. Er war es, der sofort sein Augenmerk auf »Beine und Hüften« richtete. Die Gitter über dem Kühllufteinlass an den hinteren Radkästen waren dann das gewisse Etwas, der entscheidende Schuss Raffinesse.
Paule Marrot, eine Professorin für Malerei und Dekoration, die sich schon lange über die tristen und einfallslosen Farben der Autos ärgert, stattet die angehende Schönheit mit neu kreierten Farben aus und wählt dazu die entsprechenden Polsterstoffe aus. Dazu entwickelt sie auch das Dauphine-Logo - dem Namen entsprechend ist es eine Krone, die stolz auf dem Kofferraum-Deckel (damals noch vorne) prangt.
Der Name Dauphine aber war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden. Als Ergänzung zum großen Renault »Frégate« stand zunächst »Corvette«, als das kleinere Schiff, zur Wahl. Diesem Gedanken machte aber 1953 Chevrolet mit dem so benannten Sportwagen einen Strich durch die Rechnung. Der Direktor der Bank Crédit Lyonnais, wie sollte es bei einer »Thronfolgerin« auch anders sein, schließlich hatte die zündende Idee: »Der 4C4 ist die Königin. Das neue Modell kann deshalb nur Dauphine heißen.«
Die große Gala des so geadelten Nachwuchs-Stars und den anschließenden Aufstieg hin zur neuen Königin erlebte der Vater des Autos, Pierre Lefaucheux, nicht mehr. Er verunglückte am 11. Februar 1955 bei einem Autounfall tödlich.
Es waren weniger die 845 Kubikzentimeter und die 30 PS, die die Dauphine in einer Zeit des ersten Anflugs von Wohlstand nach den schweren Nachkriegsjahren zum Erfolg verhalfen. Die »Thronfolgerin« überzeugte mit ihren sanften Rundungen, ihren gelungen Proportionen ebenso wie mit ihrem hohen Nutzwert und der Alltagstauglichkeit. Diese Kombination kam an in einem Umfeld, in dem die ersten Fernseher in den Stuben flimmerten, Kühlschränke in Mode kamen, Brigitte Bardot mit ihren Reizen nicht geizte und Jacques Cousteau seine Abenteuer auf Kinoleinwänden zeigte.
Es dauert nicht einmal zwei Jahre, bis 300 000 Modelle der knapp vier Meter langen Dauphine verkauft sind. Eine Zahl, von der Dauphine-Vater Lefaucheux nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Doch sein Nachfolger Pierre Dreyfus wollte noch viel mehr. Amerika hieß seine Vision. Hier sollte die Thronfolgerin beweisen, dass sie eigentlich zur Königin geboren war. Und tatsächlich: 1959, im dritten US-Jahr, entschieden sich 102 000 Amerikaner für die hübsche Französin. Während der Erfolg in den USA so schnell abklingt, wie er sich eingestellt hatte - 1962 sinkt die Verkaufszahl auf 32 000 Exemplare - bleibt der Wagen in Europa auf Erfolgskurs. Im Februar 1960, nur vier Jahre nach dem Produktionsstart, läuft die einmillionste Dauphine vom Band. Die eigentliche Königin, der 4 C4 brauchte dafür 14 Jahre.
1965 schließlich wird das Ende der Dauphine mit der Einstellung der Basis-Version eingeläutet. 1967 ist auch Schluss für die sportlichen Gordini-Modelle. 2 150 738 Dauphine haben zu diesem Zeitpunkt die Werkshallen verlasen - und die Dauphine den Beweis angetreten, dass sie zur Königin der Marke aufgestiegen ist. Wolfgang Schäffer

Artikel vom 30.09.2006