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Das Ziel verpasst - der Traum lebt

WB-Sportredakteur Ingo Notz auf »Dienstreise« - mit dem Rennrad

Von Ingo Notz
Steinhagen (WB). 39,83. Die Zahl geht nicht mehr aus meinen Kopf. Zwei Jahre lang verfolgt mich schon diese lächerliche Winzigkeit von 0,17 km/h, die am Traumschnitt von 40 Kilometern pro Stunde gefehlt hat - 2004, beim 1. Steinhagener Jedermann-Radrennen.

Jetzt bin ich wieder hier, in meinem alten Revier: gekommen, um die Rechnung zu begleichen - bereit, den Traum Wirklichkeit werden zu lassen. . .
»Du hast aber auch ein paar Kilos zuviel. . .«: Kollege Gunnar Feicht ist direkt. Und im Recht. Immerhin, es sind lebendige Kilos - nicht selbstverständlich für einen Hobby-Radler, der in einem Jahr dreimal überfahren wurde. . . Das Training fehlt - aber Steinhagen ist Ehrensache. Und Wunder gibt es immer wieder.
Vorne geht gleich die Post ab - ohne mich, dafür bin ich zu unterfrankiert. Und das, obwohl ich das große Blatt auflege und in Sekunden auf mehr als 42 km/h beschleunige. Die Rückkehr an die alte Arbeitsstelle beflügelt: bekannte Ecken, nette Gesichter.
Die Runden vergehen wie im Flug - mit Durchschnittstempo 40,8. Reicht nicht, um in der Hauptgruppe zu bleiben - bald falle ich aus der heraus, kämpfe meinen eigenen Kampf. Allein. Allein im Wind. Vor allem die »Abfahrt« auf der Woerdener Straße wird immer qualvoller. Hier bremst der Wind brutal von vorne - und hat bei mir genug Angriffsfläche. Von der erhofften Erholung bergab keine Spur. Im Gegenteil!
Rad paradox: Abwärts geht's abwärts, aufwärts aufwärts mit dem Schnitt. Wie auf Flügeln getragen von den Zuschauern, die auf der Zielgeraden auch den Schwächsten zujubeln, explodiere ich am Pulverbach, pushe mein Rad auf 43 km/h, knacke vor mir liegende Fahrer. Sieht gut aus - bringt aber nichts. . . Dafür zahle ich nach der Rechtskurve am Rathaus in jeder Runde den Preis. Der Wind schnürt mir jetzt schon die Kehle so zu, dass ich keinen Schluck mehr trinken kann. Der letzte Nagel zu dem Sarg, in dem ich meinen Traum vom 40er-Schnitt in Runde 13 langsam begraben muss. Es gibt auch Motivierenderes, als überrundet zu werden. Als mich einer der Führenden in der Bahnhofstraße brutal schneidet und als Zugabe noch übelste Beleidigungen brüllt, platzt mir der Kragen. Gut, ich überrunde noch ein paar Fahrer - aber das interessiert mich nicht. Am Ende habe ich noch einen hohen 36er-Schnitt: Zehn Prozent langsamer als 2004 - hat den Vorteil, dass ich keine Hundertstel suchen muss.
Nicht diesmal. Das Ziel ist schon vor dem Ziel verpasst, aber der Traum lebt. Die unendliche Geschichte. 40km/h - die Zahl geht nicht aus meinem Kopf. . .!

Artikel vom 04.09.2006