04.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Polen nimmt Anstoß an Köhlers Heimattag-Rede

Bundespräsident spricht beim Bund der Vertriebenen

Von Norbert Klaschka
Berlin (dpa). Die Reaktion aus Polen kam prompt. Nur wenige Stunden nach dem ersten Auftritt von Bundespräsident Horst Köhler vor den deutschen Vertriebenen sprach der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski von einem »beunruhigenden Ereignis«.
Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, mit Bundespräsident Horst Köhler beim Tag der Heimat. Foto: dpa

Die ungewöhnliche Kritik zeigt, wie fragil auch mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs das deutsch-polnische Verhältnis ist. Reden von Bundespräsidenten vor den Vertriebenen sind nichts ungewöhnliches. Das taten auch schon Köhlers Vorgänger. Zuletzt Johannes Rau 2003. Stärker aber als in früheren Jahren prägte am Samstag in Berlin das sensible Verhältnis zum Nachbarn Polen den »Tag der Heimat« des Bundes der Vertriebenen (BdV).
Alljährlich erinnert der BdV an das Schicksal Millionen Deutscher, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Doch dieser Tag erinnert ebenso an die Verbrechen Nazi-Deutschlands, ohne die es keine Vertreibungen gegeben hätte.
Köhler bekräftigte, dass in Deutschland kein politisch Verantwortlicher die Geschichte umschreiben wolle und ließ keinen Zweifel daran, was die Ursache für die Vertreibung gewesen ist: das nationalsozialistische Unrechtsregime. Auch trat Köhler nicht als Befürworter des von BdV-Präsidentin Erika Steinbach seit Jahren verfolgten Projekts eines »Zentrum gegen Vertreibungen« auf, vielmehr mahnte er, die Besorgnisse der Nachbarn nicht zu ignorieren.
»Die alten Themen kommen wieder auf den Tisch«, sagte vor wenigen Tagen der polnische Parlamentspräsident Marek Jurek bei seinem Berlin-Besuch. Irritierende Vorfälle gab es in jüngster Zeit immer wieder. Als Hermann Schäfer, Vertreter von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), in Weimar bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Konzentrationslagers Buchenwald sprach, ging er mit keinem Wort auf das Schicksal der Nazi-Opfer ein, sondern redete über Flucht und Vertreibung der Deutschen. Jurek wiederum will von Vertreibung nicht mehr reden, sondern nur von Umsiedlung.
Köhler ließ sich freilich auf diese Semantik nicht ein. Aber das Verhältnis zu Polen, das jahrelang auf einem guten Weg schien, ist auch sein Thema, zumal er seit seinem Amtsantritt kein Land so häufig besucht hat. Bewusst zitierte er die »Danziger Erklärung«, mit der sein Vorgänger Rau und Polens damaliger Präsident Aleksander Kwasniewski im Oktober 2003 in ihrer historischen Versöhnungsgeste der Opfer gedachten und sich gegen ein Aufrechnen der Verbrechen und Verluste wandten.
Ein Streitpunkt indes ist über die Jahre geblieben: das geplante »Zentrum gegen Vertreibungen«. Kritiker nicht nur in Polen argwöhnen, die Vertriebenen wollten die Geschichte relativieren, auch wenn die CDU-Bundestagsabgeordnete Steinbach versichert, dort solle nicht nur das Schicksal der deutschen Vertriebenen dokumentiert werden. Neuester Stein des Anstoßes ist die vom BdV initiierte Ausstellung »Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts«, die aus Polen schon vor der Eröffnung kritisiert wurde.
Auf die ging Köhler in seiner Rede nicht ein. Dafür setzte der Bundespräsident in Berlin einen deutlichen Akzent auf eine europäische Erinnerungskultur. Wichtig sei auch, dass die jungen Deutschen mehr über die Geschichte des Ostens erführen. Sie sollten gemeinsam mit ihren Altersgenossen aus ganz Europa an einem besseren Miteinander bauen. »Und deshalb ist es auch gut, wenn Fußballfans erklären können, warum eigentlich der deutschen Fußball-Nationalmannschaft 2006 mit Miroslav Klose und Lukas Podolski zwei gebürtige Polen angehörten.«

Artikel vom 04.09.2006