26.08.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Der Spruch für die kommende Woche lautet: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ (1. Petr. 5, 5). „Demut“ indessen gilt vielfach nur noch als Unwort, allenfalls geeignet, um damit Karikaturen von Christenmenschen zu entwerfen. Der Pfarrerssohn und Philosoph Friedrich Nietzsche hat damit angefangen. Er hielt eine Art Sklavengesinnung für typisch christlich und meinte, der Glaube an Gott, wie er sich in Jesus Christus offenbart hat, fördere eine unterwürfige Haltung, raube den Menschen ihr Selbstbewusstsein und sei dafür mitverantwortlich, dass sich so mancher aus lauter Minderwertigkeitskomplexen nichts mehr zutraut. Es mag sein, dass es Christen - wie übrigens auch Nichtchristen - gibt, die solchen Zerrbildern entsprechen und den Ausdruck „Demut“ damit in Misskredit bringen.
Doch schon, wer den Begriff zerlegt, wird stutzen und zu begreifen ahnen, dass die Dinge wohl anders liegen. Denn nicht von ungefähr enthält er den Bestandteil „Mut“. „Demut“ wäre somit eine besondere Art von Mut. Zwar ist es nicht die Tollkühnheit des Draufgängers, der sich alles Mögliche zutraut, sich dabei aber auch leicht überschätzt und übernimmt. Demut ist vielmehr der Mut dessen, der sich von einem Größeren getragen und gehalten weiß und daher vielleicht auch dann noch standzuhalten vermag, wenn andere, die zunächst viel forscher und lauter auftraten, längst das Hasenpanier ergriffen haben.
„Demut“ ist ein geschenkter Mut, und der besteht ferner darin, dass sich einer seinen Wert und seine Würde von Gott geben lässt und nicht von den Menschen. Auf diese Weise kann er sich selbst in seinen Stärken und Schwächen ehrlicher erkennen und annehmen. Er braucht sich auf die einen nichts einzubilden und an den anderen nicht zu verzagen.
Demut ist insofern auch das Ende des Zwangs zur Selbstdarstellung und zur Selbstidealisierung. Damit ist der Ausdruck eben alles andere als ein Sklavenwort; er ist vielmehr ein Freiheitssymbol: Ich bin demütig, indem ich mir nicht vornehme ein anderer oder ein besserer Mensch zu werden, sondern daraus lebe, dass Gott mich annimmt und seine Gnade mich formt. Ein demütiger Mensch ist daher vor allem ein dankbarer Mensch.
Da in der ersten Silbe, „de“, das Wort „Dienst“ steckt, ist „Demut“ schließlich der Mut zu dienen. Dieser entspringt aus dem Glauben, dass Gott einen jeden Menschen, je nach dessen Fähigkeiten, gebrauchen kann und will. Niemand ist ihm zu unbegabt und zu ungeschickt. Freilich soll jeder seine dazu eigenen Möglichkeiten erkunden und ausprobieren und sich nicht an anderen messen, die für dieses oder jenes begabter sein mögen.
Demütige Menschen verstehen demnach ihr Leben auch als einen Dienst, als eine Aufgabe an anderen. Sie dürfen wissen: Ich kann ihnen etwas bedeuten, ich habe ihnen etwas zu geben, ich vermag für sie wichtig zu sein, und ich brauche mich gerade deswegen nicht wichtiger zu nehmen, als ich bin. Ich vermag ja nur weiterzugeben, was ich selbst empfangen habe. Das zu erkennen, feit vor der Überheblichkeit und der Einbildung, dabei etwas Besonderes zu leisten. Aber dadurch wird das Leben reicher und gewinnt eine Fülle, wie sie den Egoisten dieser Welt versagt bleiben muss
Für den aus dem Lateinischen stammenden Ausdruck „Egoist“ kennt die griechische Sprache das Wort „Idiot“. In seiner Grundbedeutung heißt das so viel wie „Privatmann“ - in dem Sinne zu verstehen, dass einer fast ausschließlich an seine eigene Person zu denken vermag und seine Gedanken lediglich um die eigenen Belange kreisen und daran enden lässt, darüber hinaus aber eigentlich nichts weiter kennt. Ein solches Idiotentum beruht nicht auf einem Gehirnschaden oder auf unterentwickelten Geistesgaben, sondern es meint einen Defekt in der Persönlichkeitsstruktur, einen Mangel an Menschlichkeit. Es fehlt die schlichte Einsicht, dass niemand aus sich selber und für sich alleine leben kann.

Artikel vom 26.08.2006