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Ehepaar hat kein Recht auf freie Sicht

Blick aus Wohnzimmer fällt auf hohe Mauer -ĂŠKlage gegen Stadt ohne Aussicht auf Erfolg

Von Christian Althoff
Herford (WB). Ein Herforder Ehepaar muss es hinnehmen, dass ihm der Blick aus dem Wohnzimmer verbaut worden ist - obwohl der benachbarte Neubau aufgrund einer offenbar rechtswidrig erteilten Genehmigung errichtet wird. »Das ist doch absurd!«, wettert Hausbesitzer Dr. Wolfgang Stieler.
Dieses alte Foto zeigt rechts das Haus von Dr. Stieler. Die Lücke zum linken Nachbarhaus (mit Blick aufs Herforder Kreishaus) ist jetzt zugebaut.

Vor elf Jahren hatten der Arzt und seine Frau eine Fabrikantenvilla aus den 50er Jahren gekauft. »Aus den Wohnzimmerfenstern fiel der Blick nach Süden in den großen Garten unseres Nachbarn - eine grüne Oase in Innenstadtnähe«, erzählt der Mediziner und Hobbybotaniker. Doch mit der Idylle ist es vorbei. Denn seit dieser Woche blickt das Ehepaar auf die zehn Meter lange und neun Meter hohe Wand eines Wohn- und Bürohauses, das im Nachbargarten hochgezogen worden ist. »Seitdem fällt kaum noch Sonne in unser Wohnzimmer«, sagt Stieler.
Dass das Paar mit dem »erdrückenden Bauwerk« leben muss, ist nach Ansicht seines Rechtsanwaltes Dr. Niels Gronemeyer aus Paderborn »normal denkenden Menschen kaum zu vermitteln«. Denn die Baugenehmigung für das Wohn- und Geschäftshaus sei unstreitig rechtswidrig gewesen, erklärt der Anwalt. Im Bebauungsplan stehe, dass zur Aufrechterhaltung des Villencharakters der Straße Häuser höchstens 16 Meter lang sein dürften. Weil der Neubau aber ohne jede Lücke unmittelbar an ein anderes Gebäude anschließe, sei nun ein Bauwerk mit 33 Metern Länge entstanden. Auch seien im Widerspruch zum Bebauungsplan Autostellplätze im Vorgarten und die Überschreitung von Baugrenzen genehmigt worden. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht: »Diese Zugeständnisse der Bauverwaltung sind so gravierend, dass ein Bebauungsplan-Änderungsverfahren hätte durchgeführt werden müssen - mit Beteiligung der Bevölkerung.«
Anwalt Dr. Gronemeyer hatte versucht, zunächst vor dem Verwaltungsgericht Minden und später vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster im Eilverfahren den Bau zu stoppen - vergeblich. Die Richter befanden: Auch wenn eine Baugenehmigung wegen unzulässiger Befreiungen vom Bebauungsplan rechtswidrig sei, habe ein Nachbar nur dann Ansprüche, wenn man seine Interessen nicht hinreichend berücksichtigt habe. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Denn »nach Aktenlage«, heißt es dem Beschluss, ergebe sich für das Ehepaar »kein Gefühl des Eingemauertseins«, weil es in der fraglichen Wand des Neubaus mehrere Oberlichter gebe.
Nach den Niederlagen in zwei Instanzen will Wolfgang Stieler in der kommenden Woche seine Klage gegen die Stadt Herford zurückziehen - wegen fehlender Erfolgsaussichten. »Wir bedauern sehr, dass sich die Richter nicht vor Ort einen Eindruck verschafft haben«, sagt der Arzt. Unverständlich sei ihm auch, dass die Stadtverwaltung weder den Bauausschuss noch den Beirat für Stadtbildpflege eingebunden habe, bevor sie der Bauherrin, einer Bielefelderin, die Ausnahmegenehmigungen erteilt habe. Stieler kopfschüttelnd: »Unser Haus liegt in der Nähe einer Großdisco. Weil die Besucher sich nachts immer wieder auf unsere Mauer stellen und in den Garten urinieren, hatten wir beantragt, die Mauer um 30 Zentimeter erhöhen zu dürfen. Das ist abgelehnt worden - weil der Bebauungsplan das angeblich nicht hergibt. . .« Die Stadt ist übrigens weiterhin der Auffassung, ihre Baugenehmigung sei rechtlich einwandfrei - mehr noch: Die Absicht des Bebauungsplans, den besonderen Charakter des Wohngebietes durch die alten Villen zu erhalten, werde »gerade durch den Neubau erreicht«, heißt es in einem Schreiben der Bauverwaltung. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 26.08.2006