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Künstler hat Lanzarotes
Ursprünglichkeit gerettet
Cesar Manrique sorgte dafür, dass die Vulkaninsel ihre Einmaligkeit pflegt
Noch vor 20 Jahren waren Dromedare auf der kanarischen Insel Lanzarote ein unverzichtbares Transportmittel. Heute, da skandinavische Möbeldiscounter ebenso Einzug dort gehalten haben wie amerikanische Burger-Bräter und die Infrastruktur dank EU-Strukturmitteln europäisches Top-Niveau erreicht hat, sind die Wüstenschiffe indes nicht arbeitlos geworden.
Sie dienen nun den Touristen als Attraktion bei einer Stippvisite im Timanfaya-Nationalpark. Stolz erhobenen Hauptes, aber mit Beißkorb gesichert, schaukeln sie die Urlauber huckepack durch den Lavasand. Dass nur sechs Metern unter ihren Hufen Temperaturen von 500 Grad gemessen werden, ist kaum vorstellbar. Und dennoch reicht es, ein wenig im Lavastaub zu buddeln, um sich die Finger zu verbrennen.
Die Szenerie hat durchaus etwas Skurriles: Liegen im Hafen von Arrecife mehrere Kreuzfahrtschiffe, so werden die Gäste mit Bussen an den Rand der Feuerberge gebracht und dürfen dann rund um eine Lavadüne reiten. Klar, ein Fotograf will auch noch sein Geschäft machen, indem er den Urlaubern Bilder als Souvenirs verkauft. Und so kommt es regelmäßig zum Stau vor der Linse. Immerhin hat Kamelführer Juan-Jesus ein Erbarmen mit jenen fotoversierten Urlaubern, die ganz richtig erkannt haben, dass dieser Fotograf stets ins Gegenlicht knipst. Er nutzt die Wartezeit, um seinerseits die Urlauber mit deren Kameras abzulichten.
Es lohnt sich, trotz dieses Touristenrummels, den Blick schweifen zu lassen. Immer wieder reitet eine Gruppe von Urlaubern auf den Dromedaren über einen erhöhten Grat aus Lavasand. Gegen den Himmel gleicht die Silhouette dieser Szenerie einer klassischen Sahara-Karawane. Das sind die Momente der Authentizität, die sich auch durch die Kommerzialisierung nicht beeinträchtigen lassen. Ebenso wie es dem Künstller Cesar Manrique zu verdanken ist, dass die schmale Asphaltpiste, auf der nur Busse durch die Feuerberge fahren dürfen, so angelegt wurde, dass sie kaum inmitten der Lavafelder und Vulkankegel auffällt.
Der Vulkanismus lässt sich auf Lanzarote guten Gewissens genießen. Während sich am Ätna oder Soufrière, Mount St. Helens oder Pinatubo immer wieder Katastrophen ereignet haben, die Dramatik einer Eruption ein grandioses Naturschauspiel mit menschlichem Leid verbindet, hat auf Lanzarote niemals ein Mensch durch Vulkanausbrüche sein Leben verloren. Denn die Fließgeschwindigkeit der Lava war dort stets extrem langsam. Die letzten großen Ausbrüche ereigneten sich von 1730 bis 1736 und im Jahr 1824.
Trotzdem war Lanzarote über Jahrhunderte eine Auswanderungsinsel, denn sie verfügt nicht über Grundwasser. Mangels Höhe können die Berge keine Regenwolken stauen. Nur mit Hilfe des Trockenfeldanbaus lässt sich überhaupt etwas Landwirtschaft betreiben. Dennoch gedeiht auf Lanzarote Wein. Jede Pflanze wächst in einem Trichter, der sorgfältig von einer Steinwand in Hufeisenform geschützt wird.
Heute ist aber auch Lanzarote ein Einwanderungsziel, denn die Insel ist mit Abstand die schönste und ursprünglichste der Kanaren. Allerdings sind die Gegenstände des täglichen Bedarfs sehr teuer - und das lässt sich auch durch extrem billiges, subventioniertes Benzin und sehr preiswerte Luxusgüter nicht kompensieren.
Dank der kompromisslosen Haltung von Cesar Manrique, der es verstand, touristische Auswüchse im Keim zu ersticken und den Charakter des Eilands zu bewahren, hat Urlaub auf der Insel heute eine ganz besondere Qualität. Manrique, der Städtebau auf Teneriffa und Malerei an der Schule der Schönen Künste in Madrid studierte, setzte es durch, dass mit Ausnahme eines Wolkenkratzer-Hotels in der Hauptstadt Arrecife kein Gebäude höher als zwei Stockwerke sein dürfe.
Er selbst wohnte in einem Haus, welches er in Lavablasen integrierte. Es ist heute Sitz der Manrique-Stiftung, die künstlerische Projekte ebenso fördert wie sie auch über die Erhaltung der Insel in Manriques Sinne wacht. Er war nicht gegen den Tourismus - aber die von ihm gestaltete touristische Infrastruktur zeichnet sich durch Naturnähe und harmonische Einheit mit dem besonderen Inselcharakter aus. Endemische Echsen sind daher immer noch zu sehen, Igel ganz ohne Flöhe - und das letzte in Europa entdeckte Säugetier, die kanarische Spitzmaus. Überall grünt und blüht es, denn das Brauchwasser wird bis auf den letzten Tropfen geklärt und dann zur Bewässerung genutzt. Trinkwasser beziehen die Inselbewohner nach wie vor aus Kanistern. Thomas Albertsen

Artikel vom 26.08.2006