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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Es geht an dieser Stelle noch nicht um einen bestimmten biblischen König - weder um Saul, den ersten in ihrer Reihe, noch um David, den Klügsten und Mächtigsten unter ihnen, auch nicht um den weisen, aber gleichwohl schon zur Selbstüberschätzung neigenden Salomo oder um eine der späteren, meistens eher mittelmäßigen Gestalten. Vielmehr quält sich die Bibel mit einer sehr grundsätzlichen Frage herum: Kann das Königtum überhaupt eine segensreiche Einrichtung sein? Ist es nicht vielmehr von seinem Ansatz her und seinem Wesen nach auf Korruption, Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft angelegt?
Dies ist nicht das Problem der besseren oder doch zumindest weniger schädlichen Staatsform. Welche von ihnen einer anderen vorzuziehen sei, beschäftigt die Bibel nicht. Diese Frage stellt sich erst sehr viel später, vor allem auch nach bitteren Erfahrungen mit der Alleinherrschaft. Aber die Bibel schneidet bereits ein grundsätzliches Thema an, welches die Menschheit seit jeher begleitet: Was geschieht eigentlich und was ergibt sich daraus, wenn Menschen über Menschen herrschen?
Sie blickt zurück in jene Tage, in denen Samuel, die geistliche und politische Autorität seiner Zeit, alt geworden war (1. Sam. 8). Seinen Söhnen fehlt - Charisma ist ja nicht erblich - das Format ihres Vaters. Hinzu kommt, dass sie ihre Stellung missbrauchen, um auf unlautere Weise ihren eigenen Vorteil zu suchen, und sich für das Wohl der Allgemeinheit nicht interessieren. In dieser Stunde wird in Israel der Ruf nach einem König laut - nach einem König, wie ihn alle anderen Völker auch haben.
Der greise Samuel versteht vielleicht, dass seine Zeitgenossen die manchmal recht labilen staatlichen Verhältnisse satt hatten. Gleichwohl packt ihn vor ihrem Ansinnen Entsetzen. In leidenschaftlichem Gebet ringt er daher mit Gott um diese Frage. Dabei wird ihm vollends deutlich, in welch verhängnisvolle Richtung die Weichen da gestellt werden: Die Menschen haben Gott als ihren eigentlichen Regenten verworfen und werden ihrem eigenen Gutdünken folgen.
Das ist die Grunderkenntnis, die Samuel schaudern lässt. Die Konsequenzen daraus sind unter anderem die, dass die Könige ihre Untertanen mit Abgaben und Frondiensten belasten und ihre Verwandten und Günstlinge mit Privilegien auf Kosten ihres Volkes verwöhnen werden. Dass Menschen über Menschen herrschen, kann nur Unrecht zur Folge haben - so die pessimistische und dennoch realistische Sicht der Bibel.
Die Alternative dazu ist jedoch keineswegs ein Gottesstaat. Ganz im Gegenteil! Vor einem solchen - ob in christlichem, ob in islamischem oder in sonstigem Gewande - kann gar nicht laut genug gewarnt werden. Denn gerade durch ihre religiöse Verbrämung und ihre scheinbare Immunität gegenüber innerweltlicher Kritik wird diese Staatsform besonders unmenschlich. Willkür und Fanatismus bis hin zum Terrorismus können sich in ihr hinter irgendwelchen missverstandenen göttlichen Geboten verstecken und so ihr wahres - sehr ungöttliches - Wesen verbergen.
Die Bibel favorisiert keine bestimmte Herrschaftsform, und sie idealisiert schon gar nicht den Staat als solchen. Sie ist vielmehr - dies ist zumindest ein Grundzug - kritisch gegenüber jeder Herrschaftsform und jedem staatlichen Gebilde. Denn darin sind Menschen die Akteure, und Menschen sind nun einmal Sünder, und als solche manipulieren sie den Willen Gottes so, wie es ihnen gerade passt.
Staatliche Macht ist unumgänglich, und das um so mehr, je komplizierter die Verhältnisse werden. Das musste auch Samuel einsehen. Aber sie ist nicht mehr als eine Notlösung und darauf angewiesen, durch Kontrollinstrumente in Schranken gehalten und begrenzt zu werden. Das - und nichts anderes - hat die Demokratie anderen Staatsformen voraus.

Artikel vom 19.08.2006