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Die Folklore aus der Krötenhöhle

Ethno-Musik der Einwanderer nach Amerika: »Stranded in the USA«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Manch ein Tellerwäscher glaubt noch heute, er verwandle sich, wenn er bloß die Freiheitsstatue berührt, in einen Millionär. Lassen wir ihn träumen. Wir lauschen mal der Musik der Einwanderer.

»Stranded in the USA« heißt eine CD (Trikont/Indigo), die außer einem höchst spannend zu lesenden Booklet 26 Lieder enthält, die von Christoph Wagner tief im Bauch der »Toad Hall« (etwa: Krötenhöhle) entdeckt wurden. In diesem Laden in Rockford/Illinois stapeln sich Tausende von Schellackplatten: Ethnic Music, deren Trompetenschall und orchestrales Tamburitza-Gefiedel Europas naive Vorstellungen vom melting pot USA ein bisschen relativieren.
Der Mann aus Norwegen, den alle mit dem Allerweltsnamen »Ole« anraunzen, reimt »New York« auf »no work«, und so wird denn der abgebrannte Hobo (Landstreicher) von der Polizei zusammengeschlagen und von der Justiz im Schnellverfahren abgeurteilt. Wilmouth Houdini, der selbsternannte »Calypso-König« von den Westindischen Inseln, ist zu stolz, um zu betteln, und zu ehrlich, um zu stehlen, und bittet die Arbeitgeber inständig, ihn in Lohn und Brot zu bringen.
Die »Early Songs of Emigration« (Untertitel) stammen aus den 20er bis 50er Jahren; sie spiegeln die ganze geographische Breite der Herkunftsländer jener hoffnungsfrohen Neuankömmlinge. Unter ihnen Schweizer (»Ach, könnt' ich einmal noch in meinem Leben mein Heimatland mit seinen Bergen sehn«) und Finnen, Polen und Griechen, Ukrainer, Italiener, Serbokroaten und und und.
Der damals weithin bekannte jüdische Sänger und Schauspieler Morris Goldstein landete 1922 mit dem Lied von der »Grienen Cusiene« (ja, da steckt das »Greenhorn« drin!) einen Hit. Und Pat White, der Schelm, wurde gar nicht mehr in Irland geboren, sondern bereits in den USA, was ihn aber nicht hindert, anlässlich seines imaginierten Abschieds aus Tipperary - »The ship will sail in half an hour to cross the broad Atlantic« - auf die Tränendrüse zu drücken.
Ein shindig (Tänzchen), das in die Beine geht. Jetzt aber ist Polka: Gene Wisniewski besingt, auf polnisch natürlich, die Girls von Chicago. Er kriegt sie natürlich nicht, er ist ja Immigrant. »Howie Bowe & His Little German Band« wiederum beschallen einen Biergarten, in der Hoffnung, es fielen schon ein paar »schnitzels and bretzels« für die Kapelle ab.
Der Rock'n'Roll, so hat man es uns in der Schule immer erzählt, entspross den Wurzeln der Musik der Einwanderer. Bitte sehr: Von witzig bis melancholisch, von beschwingt bis schräg findet das Herz auf »Stranded in the USA« alles, was es begehrt.

Artikel vom 30.11.2006