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Captain Cool ist so frei
Johnny Depp: Und wenn die Welt verflucht wäre, würde er einfach weiter sein eigenes Ding machenSein Weg zum Glück war nicht gradlinig. Nach mehreren Komparsenrollen landete Johnny Depp in der Fernsehserie »21 Jump Street« seinen ersten Hit. Er spielte einen jugendlichen unangepassten Undercover-Polizisten. Wegen seiner rebellischen Art wurde er mit den Zelluloid-Legenden Marlon Brando und James Dean verglichen, als nächster Tom Cruise gefeiert. Der Erfolg der TV-Kultserie war aber dermaßen groß, dass Depp sich zur Ware degradiert fühlte. Auch wenn er in dieser Zeit viel gelernt habe - sagte Depp - wollte er etwas derartiges nie mehr erleben. Er wollte kein hübsches Gesicht in hohlen Rollen sein, er wollte Schauspieler sein und frei.
Der zweite Glücksfall war dann die Nebenrolle des Sanitäters Private Lerner in Oliver Stones »Platoon«. Der Ur-Enkel eines Cherokees merkt dabei, welche Möglichkeiten ihm der Film gegenüber dem Fernsehen geben würde. Und es wurde zugleich eine Absage an den Hollywood-Mainstream.
Fortan suchte er sich seine Rollen stets bedachtsam (so sagte er »Titanic« ab) und ohne Rücksicht auf etwaiges Kassengift aus. Seine Auftritte liebt er stets mit bemerkenswerten Marotten auszustatten. Eigenen Worten zufolge setzt er sie stets zusammen aus einem Drittel der so genannten Strasberg-Methode des Method Acting, einem weiteren Drittel, indem er die zu spielende Person mit Wesenszügen ausstattet, die ihm von einem real existierenden Menschen bekannt sind, und letztlich den bereits erwähnten Marotten.
Er hüllte sich in schwarzen Lack und weiße Schminke, kleidete sich mal in rosa Angorawolle oder ließ sich den Schädel rasieren, trug einen zu großen Hut, Gold-Zähne und torkelte über den Set, als würde permanent Windstärke zwölf herrschen. Diese Freiheiten nahm er sich.
»Natürlich müssen mir die Figuren nahe stehen«, hat er in einem der wenigen Momente gesagt, in denen er sich ungeschminkt in die Seele blicken ließ. »Hätten sie nicht mit mir zu tun, dann wäre ich ein Lügner.«
Er spielte Männer auf der Kippe, wie in »Don Juan DeMarco« oder »From Hell« oder in »Charlie und die Schokoladenfabrik«. Grenzgänger eben. Wie Johnny Depp es lange einer war. In seinen wildesten Zeiten in seinem »Viper Room«, den er 1993 mit gegründet hatte und an dem er bis 2004 Anteile besaß, sagte er zu allem ja, was ihn aus der Realität schoss. Alkohol, Drogen, Frauen (unter anderem Winona Ryder, Kate Moss).
Und dabei hat es ihn nicht einmal abgeschreckt, dass sein Freund River Phoenix vor dem Eingang des Viper Room an einer Überdosis Speedball starb.
Keine guten Zeiten, schlechte Erinnerungen. »Das war eine dunkle Phase in meinem Leben, die ich nicht noch mal wiederholen möchte«, betont der Frauenschwarm (Nennen Sie Ihrer Frau mal seinen Namen, Sie werden ein fast unanständiges Stöhnen als Antwort bekommen). Er habe selbstzerstörerisch gelebt und sei sicher gewesen, »dass ich es nicht bis zu meinem 40. Lebensjahr schaffe. Vielleicht musste ich diesen Mist aber durchmachen, um jetzt mein Leben genießen zu können«, sagt Depp. Durch Wahnsinn zur Wahrheit.
Und er half mit seinem neuen Wissen auch Freunden. 1999 unterstützte Depp seinen Buddy, den Rockmusiker John Frusciante (Red Hot Chili Peppers), die Drogensucht zu überwinden.
Für die Wende sorgte eine Französin. Ins Paradies dank Vanessa Paradis. »Durch sie bin ich aufgewacht und habe angefangen zu leben. Ich bin zu einem besseren Mann geworden«, beschreibt Depp die zweite wichtige Wende seines Lebens. Die Hochzeit mit der Schauspielerin und Sängerin soll angeblich unmittelbar bevorstehen. Die beiden Kinder Lily Rose und Jack vervollkommnen das Glück.
Und damit das privat bleibt, will der Top-Verdiener mit seiner Familie auf eine einsame Insel nach Bath umziehen. »Es soll tatsächlich unser Hauptwohnsitz werden«, verriet der 43-Jährige in »Frau im Spiegel«. In Südfrankreich und in Kalifornien werde er noch zu häufig von Paparazzi verfolgt.
Dass er sich den Umzug in die Karibik leisten kann, ist kein Fluch, verdankt er aber den gleichnamigen Filmen. Dabei schoben die Studiochefs beim Dreh zum ersten Teil nur Frust. Denn Depp gab den Depp und nicht etwa die Wiedergeburt von Errol Flynn. Er sah als Captain Jack Sparrow aus, als ginge er zum Faschingsball, war albern, unmännlich, grotesk, tuntig.
Die Geldgeber verfluchten sich, dass sie keinen »big name« verpflichtet hatten. Sie mussten diese Kröte schlucken, konnten aber letztlich Kröten zählen. 650 Millionen um genau zu sein. So viel verdienten sie mit Ausgabe eins. Und als Dreingabe bekam der Unangepasste - als seine Lehrmeister für Coolness gelten Iggy Pop (die von ihm geschenkten Totenkopfringe trägt er ständig), Marlon Brando und der Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson - 2003 für seine schauspielerischen Leistungen eine Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller. Und der zweite Durchgang verspricht wieder ein Blockbuster, ein Kassenknüller, zu werden.
Dafür musste der Mann aber auch ganz schön leiden. Eigentlich gilt es ja nicht gerade als Nachteil, dass attraktive Jungs wie Johnny Depp, Tom Cruise oder Brad Pitt vor der Kamera die schönsten Frauen des Filmgeschäfts küssen können. Doch für Depp ist das kein Vergnügen. Im Gegenteil: »Mir macht es gar keinen Spaß, mit fremden Schauspielerinnen zu knutschen. Ich fühle mich nie wohl dabei, jemanden zu küssen, mit dem ich nicht liiert bin.«
Besonders unangenehm war ihm der Filmkuss mit Keira Knightley - denn die Schauspiel-Kollegin könnte seine Tochter sein. »Aber wir haben kein großes Theater daraus gemacht. Kuss-Szenen kann man mit Stunts vergleichen. Da muss man durch.« Wobei die 21-jährige Engländerin schon ein bisschen darunter gelitten hat, dass sich Depp so lange zierte.
Aber so ist er halt: Auch wenn die ganze Welt verflucht wäre, würde Johnny Depp einfach weiter sein eigenes Ding machen. Captain Cool ist halt so frei. Lieb ihn oder lass es.
Oliver Kreth

Artikel vom 26.08.2006