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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Samuel lebt in einer Übergangszeit: Die Periode, in der das Volk Israel in einem noch lockeren Stämmeverband existiert, wird abgelöst vom Königtum mit seiner strafferen Ordnung und seinen militärischen Vorteilen. Diesen Wechsel hat er - trotz erheblicher Bedenken - mitzugestalten.
Seine Epoche aber charakterisiert die Bibel insgesamt als negativ. Lapidar heißt es: »Des Herrn Wort (war) selten (geworden), und es gab kaum noch Offenbarung« (1. Sam. 3, 1). Gemeint ist damit eine geistig und geistlich dürftige Zeit. So etwas freilich ist nicht an bestimmte geschichtliche Konstellationen gebunden; es kann sich ebenso unter anderen historischen Bedingungen wiederholen. Wenn nicht alles täuscht, ist die Gegenwart solch eine Dürrezeit.
Zu geistlicher Dürftigkeit indessen führen nicht äußere Anfeindungen oder gar Verfolgungen der gottesdienstlichen Gemeinde. Sie entsteht vielmehr durch eine Aushöhlung von innen heraus. Da ist auf der einen Seite das Desinteresse an Gottes Wort und auf der anderen die Unfähigkeit, das Interesse daran zu wecken. Beides hängt miteinander zusammen und beeinflußt sich gegenseitig. Die Verkündigung wird als belanglos empfunden, und weithin ist sie das auch. Unverwechselbar geistliche Inhalte gelten dann als zu schwierig und werden deshalb gern durch leichtere Kost oder andere Themen ersetzt - ein sicherer Schritt in den Substanzverlust und die Bedeutungslosigkeit.
Leider wird das oft erst dann wahr- und ernst genommen, wenn es sich finanziell bemerkbar macht und die kirchlichen Haushalte empfindlich schrumpfen läßt. Das aber ist nur das Spätstadium einer Entwicklung, die sehr viel früher eingesetzt hatte. Sie hätte durchaus rechtzeitig erkannt werden können, hätten nicht trotz allem die noch lange reichlich fließenden Gelder über die bittere Realität hinweggetäuscht.
Geistliche Dürreperioden aber sind keine Dauerzustände. Gott weiß sie zu seiner Zeit wieder zu beenden und neue Impulse zu setzen. Es fragt sich allerdings, ob man damit in der Kirche der Gegenwart wirklich ernsthaft rechnet oder ob man ausschließlich auf Zahlen, Hochrechnungen und deren mögliche Konsequenzen fixiert ist. Ohne die Hoffnung, dass es mit der eigenen Sache auch wieder aufwärts geht, kann es allerdings nur immer weiter abwärts gehen.
Samuel indessen steht exemplarisch für einen neuen Impuls Gottes. Wie so oft an entscheidender Stelle, beginnt dieser damit, dass eine Frau, die lange vergeblich auf ein Kind gewartet hatte, doch noch einen Sohn zur Welt bringt. Aus Dankbarkeit wird dieser in den Dienst Gottes gestellt und kommt schon als Knabe in die Obhut des Priesters Eli an das Heiligtum in Silo. Obwohl Eli die geistliche Autorität seiner Zeit sein sollte, verkörpert er zugleich deren Dürftigkeit in seiner Person. Denn nicht einmal er ist in der Lage, seine eigenen mißratenen Söhne zur Räson zu bringen, und das wohl nicht nur aufgrund seines hohen Alters.
An einem Punkt aber entwickelt er ein richtiges Gespür. Eines Nachts nämlich vernimmt der junge Samuel einen Ruf. Er meint, Eli habe ihn gerufen, und meldet sich daraufhin. Eli jedoch weiß von nichts und bleibt auch dann noch ahnungslos, als sich der Vorgang wiederholt. Erst beim dritten Mal dämmert es ihm, Gott selbst sei es womöglich, der seinen Zögling anrede und ihm vielleicht Entscheidendes zu sagen habe. Daher solle er, wenn er diese Stimme wiederum höre, erwidern: »Rede Herr, denn dein Knecht hört« (1. Sam. 3, 9).
Nur so und nicht anders kann eine geistliche Erneuerung beginnen. Es gilt, dafür die Ohren zu spitzen, was Gott in einer Epoche und zu einer Epoche zu sagen hat. Zur Zeit Samuels war das zunächst die Ankündigung eines Strafgerichts über den von den Söhnen Elis verkörperten Ungeist und deren Frivolität und die Unfähigkeit ihres Vaters dem zu wehren. Vielleicht ist es Gottes Absicht mit der Kirche in Westeuropa, ihr eine noch längere Dürrezeit und Durststrecke zu verordnen, damit sie begreift, dass sie sich nicht aus eigener Kraft regenerieren, sondern Erneuerung nur als ein Wunder des Heiligen Geistes an sich geschehen lassen kann.

Artikel vom 05.08.2006