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Wir brauchen Politiker, die zuallererst für die Bürger da sind, anstatt für diverse andere Interessen.

Leitartikel
Politik und Lobbyisten

Wer übt die
Macht im
Staate aus?


Von Eberhard Hamer
Die Diskussion um Doppelfunktionen der Politiker in Parlamenten und gleichzeitig in bezahlten Gewerkschafts-, Konzern- und Verbandsfunktionen darf nicht einschlafen - wie es die Parteien wohl am liebsten hätten. Denn es geht immerhin um die zentrale Frage: Sind unsere Parlamente noch unabhängige Kontrollorgane im Auftrage der Bürger - oder sind sie inzwischen von Lobbyisten so durchsetzt, dass dadurch die beiden Kollektivorganisationen Gewerkschaften und Konzerne sowie andere größere Verbände im Stillen die eigentliche Macht im Staat erobert haben?
Bereits vor mehr als zehn Jahren stellte das Mittelstandsinstitut Niedersachsen fest, dass schon damals 80 Prozent der Bundestagsabgeordneten und 40 Prozent der Landtagsabgeordneten aus Gewerkschaften, angeblich ausschließlich gemeinnützigen Organisationen, Konzernen und Verbänden zusätzlich bezahlt, also am goldenen Zügel geführt wurden.
Somit sind auch die aktuellen Fälle Reinhard Göhner und Norbert Röttgen sowie der von VW bezahlten SPD-Abgeordneten nur die Spitze des Eisberges.
Bundestagspolitiker zu sein ist angeblich ein Vollzeitberuf. Die Abgeordneten bekommen dafür deshalb eine jährliche Gesamtversorgung aus der Politik, welche die meisten Bürger selbst in einem jahrzehntelangen Berufsleben nie erreicht hätten. Dies gilt auch für die Landtagsabgeordneten. Wer Vollzeitberufspolitiker ist, kann daher nicht die Zeit haben, einen zweiten Beruf ebenfalls vollzeitig auszuüben.
Hieran zeigt sich, dass die von Wirtschaft und 600 Verbänden und den Gewerkschaften bezahlten Politiker eigentlich nicht vorwiegend für ihren bezahlten Politik-Beruf tätig sind, sondern maßgeblich als Interessenvertreter von Gewerkschaften, Verbänden und Konzernen im Parlament wirken.
Kein Wunder, wenn in unseren Parlamenten vor allem die Interessen der Kollektivorganisationen von Gewerkschaften, Verbänden und Konzernen zum Zuge kommen, während die von den gleichen Politikern immer im Munde geführte Mittelstandspolitik praktisch kaum stattfindet.
Die Diskussion um die Doppelfunktion von Abgeordneten als Wirtschaftslobbyisten und Berufspolitiker ist ein entscheidender Ansatz, die Einflussnahme von Wirtschaft und Gewerkschaften auf die Politik wieder erheblich zu lockern, was dringend geboten ist.
Wir brauchen Politiker, die, ih- rem Verfassungsauftrag gemäß, zuallererst für die Bürger da sind, anstatt für diverse andere Interessen. Üben Parlamentarier Doppel- oder gar Mehrfachfunktionen aus, sollte jedes Zusatzeinkommen auf die Abgeordnetenbezüge angerechnet werden, auch um etwaigen Versuchungen bis hin zur Bestechung vorzubeugen.
Die Kritik an Doppel- und Mehrfachfunktionen von Politikern darf nicht einschlafen. Die Politik handelt oft nämlich nicht deshalb, weil etwas richtig ist, sondern häufig leider erst dann, wenn der Druck von außen zu stark wird.

Artikel vom 02.08.2006