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Waffenruhe ist für Israel nicht
Wendepunkt im Libanon-Krieg

Armeeführung kündigt Ausweitung der Militäreinsätze gegen Hisbollah an

Von Carsten Hoffmann
Tel Aviv (dpa). Unter dem Druck von US-Außenministerin Condoleezza Rice hat sich die israelische Regierung nach dem verheerenden Angriff auf das Dorf Kana auf eine Feuerpause für die Luftwaffe eingelassen.

Doch der Tod von mehr als 50 Libanesen soll kein Wendepunkt hin zu einer schnellen Waffenruhe werden, wird in Israel betont. Die Armeeführung hat gestern eine Ausweitung der Militäreinsätze gegen die Hisbollah-Miliz angekündigt.
Die Feuerbeschränkung für die Luftwaffe nehme aber etwas von dem politischen Druck und sei deswegen die richtige Entscheidung, meinte der israelische Justizminister Chaim Ramon. »Wenn der Krieg heute enden würde, wäre es ein Sieg für die Hisbollah (...) und für den internationalen Terrorismus«, sagte Ramon. »Deswegen steht dieser Krieg nicht vor einem Ende, nicht heute und nicht morgen.«
Und doch ist die von Rice nach fast zweitägigen Gesprächen verkündete Kampfpause eine Richtungsänderung des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert und seiner Regierung. Erst am Wochenende hatte Israel den aus den Vereinten Nationen laut gewordenen Ruf nach einer »humanitären Waffenruhe« zurückgewiesen. Hisbollah werde diese zur Auffrischung der Waffenarsenale im Kampfgebiet nutzen, war eine Begründung.
Dabei zeigt die vom Iran und Syrien unterstütze Schiiten-Miliz bisher kaum Ermüdungserscheinungen. Am Sonntag feuerte die Hisbollah mehr als 140 Raketen auf Israel ab, die höchste Zahl an einem Tag bisher. Um die Wirkung der Militärschläge gab es schon Streit der israelischen Geheimdienste. Der Mossad meint, anders als der Militärgeheimdienst, dass die Hisbollah-Miliz noch nicht entscheidend getroffen wurde.
Israelische Sicherheitsexperten warnen davor, einen Triumph der Hisbollah zuzulassen. Der Verlauf der Kämpfe werde in der ganzen arabischen Welt sehr genau verfolgt. So schrieb die palästinensische Zeitung »Al Ajam« gestern, die Hisbollah und ihre Strategie müsse für die zerstrittenen Palästinenser oder ihre großmäuligen Milizen ein Vorbild sein. Hisbollah führe den Krieg mit »brillanter politischer Weisheit« beispiellos erfolgreich.
Ungeachtet israelischer Ankündigungen ticke die Uhr für eine Einstellung der Militäroffensive bereits, meinen einige Kommentatoren in Israel. Hinter den Kulissen würden schon Weichen für eine politische Lösung gestellt. Noch in dieser Woche sei eine Waffenruhe möglich, sagte Rice in Jerusalem vor ihrer Abreise. Sie legte einen Plan vor, der eine Waffenruhe und den Einsatz einer internationalen Truppe vorsieht, die die libanesische Armee unterstützen.
Die Entscheidung für die Feuerpause sei mindestens als merkwürdig zu bezeichnen, schreibt die Zeitung »Jediot Achronot«. »Sie drosselt den Schwung bei der Zermürbung der Hisbollah. Unter den ungünstigsten Bedingungen für Israel wird gewissermaßen ein Prozess der Waffenruhe begonnen. Die Hisbollah feuert weiter, steht aufrecht, Israel ist alarmiert und knickt unter Druck ein«, kritisiert das Blatt. Israel müsse seine gesteckten Ziele erreichen. »Wenn Israel in diesem Krieg scheitert, wird ein Weiterleben im Nahen Osten unmöglich sein.«

Artikel vom 01.08.2006