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Die Wohnungdes Lebens

Bernd Kollmetz ist Pfarrer der Johanniter-Ordenshäuser in Bad Oeynhausen.

Ich sehe die Bilder von der »Love Parade« aus Berlin und frage mich: Was bewegt hunderttausende, zumeist junge Menschen, dazu, bei tobend lauter Musik, für einen letztlich flüchtigen Augenblick diese Strapazen auf sich zu nehmen? Es scheint sich eine tiefe Sehnsucht hinter dem Ganzen zu verstecken: Suche nach Freude am Leben sowie nach Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, wenngleich diese sich an der  Oberfläche  des  Spaßhabens
Moment mal! und der Anonymität auflöst. Fast ist man geneigt, das Ganze als eine große Suchbewegung nach dem Sinn des Lebens zu deuten.
Und dann schaue ich am nächsten Morgen, wenn ich in den Zug steige, in die Gesichter der ermüdeten Heimkehrer. Die Wirklichkeit der Welt, die Banalität des Alltags hat sie bereits am Sonntag wieder. Ach, wie flüchtig, wie nichtig ist der erlebte Augenblick. Es gibt einen Platz im Leben des Menschen, den kann er nicht selbst besetzen. Alle Versuche müssen zur Erschöpfung führen. Vielmehr tritt er diesem gegenüber.
Der deutsche Philosoph Ludwig Wittgenstein umschreibt dies mit den Worten: »An einen Gott glauben heißt, dass es mit den Tatsachen der Welt noch nicht getan ist. An einen Gott glauben, heißt sehen, dass das Leben einen Sinn hat.« Ohne Gott bleibt die Wirklichkeit des Lebens ein Zerrbild und die Sehnsucht nach erfülltem Leben ein unerfüllter Traum. Für den Glauben hingegen öffnet sich in der Gewissheit der Gegenwart Gottes eine Wirklichkeit, die von mir gelebt werden kann sowie allem erst den Sinn zu geben vermag. Doch diese Gewissheit braucht nicht den hämmernden Klang harter Rhythmen und verflüchtet sich beim Hereinbrechen des neuen Tages.
Übrigens: Zwar können wir den Wohnraum Gottes in unserem alltäglichen Leben einengen, aber aus der Wohnung des Lebens vermögen wir ihn nicht zu verbannen. Bernd Kollmetz

Artikel vom 29.07.2006